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Tucholsky-Abend in der Stadtbücherei: Lyrik, Bilder und ein Grammophon

Lesung In der Kirchheimer Bücherei hat Jo van Nelsen unter dem Titel „Ein Panter in Berlin“ den Autor und Journalisten Kurt Tucholsky sowie den Sound der Zwanziger Jahre zu neuem Leben erweckt. Von Ulrich Staehle

Endlich wieder „Text und Töne“. Erwartungsvoll sitzen die in der Ferienzeit Daheimgebliebenen in der prall gefüllten Kirchheimer Stadtbücherei. Sie sind eigentlich zwei Personen auf der Bühne gewohnt, eine für den Text und eine für die Töne. Diesmal erscheint nur eine: Jo van Nelsen. Doch auf der Bühne ist schon etwas: ein historisches Grammophon mit nadelbestücktem Tonarm und Kurbel. Nelsen hat die Grammophonlesungen erfunden. Er liest und singt, das Grammophon liefert via Schellackplatten den Sound der Zeit, aus der die Texte stammen. Auch moderne Technik ist dabei: Auch moderne Technik ist dabei: Mit Power Point werden die Zwanziger Jahre auf eine große Leinwand projiziert.

Tucholsky war den Nazis ein Dorn im Auge

Doch im Mittelpunkt steht natürlich das Wort – das des Journalisten und Schriftstellers Kurt Tucholsky. Nelsen gibt einen kompakten Überblick über dessen Leben und Schaffen. Tucholsky wurde nur 45 Jahre alt, hat aber unter Verwendung verschiedener Pseudonyme wie „Peter Panter“ eine unglaubliche Menge an sprachvirtuosen Texten hinterlassen. Als Journalist war er ein unbequemer populärer Kritiker seiner Zeit. Als Schriftsteller hat er kaum eine Literaturgattung ausgelassen, er konnte Couplets, feinsinnige Lyrik und heitere Romane, wie zum Beispiel Schloss Gripsholm, schreiben. Wegen seiner journalistischen Tätigkeit war er den Rechtsnationalen als Linker und als Pazifist ein Dorn im Auge, die Nazis hassten ihn wegen seiner jüdischen Abstammung. 1930 ging er ins Exil nach Schweden, wo er 1935 starb.

Zwei Plattensammler

Jo van Nelsen, Kabarettist und Schellackplatten-Sammler aus Frankfurt, wendet sich vor allem dem Plattensammler und Musikkritiker Tucholsky zu. Zuvor beschreibt er das Funktionieren des Grammophons, das gleich mit Jack Hylton und seinem Orchester mit Tanzmusik in Einsatz kommt, illustriert mit Filmen auf der Leinwand. Tucholsky war nicht nur begeisterter Plattensammler und Hörer, sondern an Produktionen mit Songtexten selbst beteiligt. Mit der populären Claire Waldoff war er eng befreundet, schätzte sie sehr und schrieb ihr Texte. Ihre Stimme war nun zu hören mit „O wie praktisch“, ein Loblied auf die Berliner Frauen – dieser Text allerdings stammt von Friedrich Hollaender.

Obwohl er sich als unmusikalisch einordnete, betätigte sich Tucholsky auch als Musikkritiker. Über die Stars der Epoche, Franz Lehàr und Tenor Richard Tauber, goss er Hohn und Spott aus: Diese Musik und die Darbietung rieche nach „Schmalz“ und „ranzigem Fett“. Der als Bariton ausgebildete van Nelsen legt „Dein ist mein ganzes Herz“ auf und bewertet Taubers gewaltige Tenorstimme positiv. Als Filmkritiker nimmt Tucholsky vor allem das erwartete verlogene Happy End aufs Korn. Im Gedicht „Danach“ malt er aus, wie trist das weitere Leben des Filmliebespaares verlaufen könnte. In Sachen Liebesbeziehungen hat sich Tucholsky überhaupt sehr skeptisch geäußert. Er war zweimal verheiratet. Immerhin hat die zweite Frau Mary Gerold sich später um die Wiederauffindung der verstreuten Texte ihres Mannes gekümmert.

Visionäres europäisches Denken

Natürlich kam auch der politische Journalist Tucholsky zu Wort. Ein Text wie „Eine Frage“ ist hochaktuell. Dass der ewig Unzufriedene aber nicht nur Negatives auf Lager hat, sondern bei ihm auch Gemüt, Heimatliebe und europäisches visionäres Denken zu finden sind, kommt z.B. im Gedicht „Parc Monceau“ und im Essay „Heimat“ zum Vorschein.

Was angekündigt war für diesen Abend, wird auch umgesetzt. Durch den Einsatz von Ton und Bild werden die Zwanziger Jahre und Tucholsky präsent gemacht. Jo van Nelsen ist hochqualifiziert als Sänger und ausgebildeter Sprecher, was die plastische Modellierung vor allem bei „Des deutschen Volkes Liederschatz“ beweist. Der Rhythmus der Abfolge beim Einsatz all dieser Mittel stimmt. Büchereileiterin Carola Abraham hatte bei diesem Engagement eine glückliche Hand.