Im Keller des Gemeindehauses stapeln sich Kisten, Tüten und Kartons mit Lebensmitteln und Hygiene-Artikeln. Ein Kirchheimer Geschäft hat Skihelme für Kinder gespendet: Das hat nichts mit Freizeitspaß zu tun, sondern mit Schutz vor herabfallenden Trümmern bei einer möglichen Bombardierung. Susanne Zatsarna legt noch ein paar große Tafeln Schokolade dazu. „Das geht an ein Mutter-Kind-Heim in Czernowitz an der Grenze zu Rumänien“, sagt die gebürtige Ukrainerin, die mit ihrem Mann Yuri Bystrukhin seit fünf Jahren in Bissingen lebt. Die beiden sind das Mesner-Ehepaar der evangelischen Gemeinde.
Am Tag des Kriegsausbruchs saß sie in der S-Bahn nach Stuttgart, wo sie eine Ausbildung zur Krankenschwester macht. „Um 4.30 Uhr sah ich auf mein Handy und konnte es nicht glauben.“ Sie rief gleich ihre ältere Schwester an und die sagte nur: „Ja, er hat uns angegriffen.“ Zwar gab es die Bedrohung schon länger, aber daran hatten sich die Leute schon fast gewöhnt, wirklich glauben konnte es keiner.
„Einfach nur verzweifelt“
„Normalerweise ist sie immer optimistisch, aber da klang sie einfach nur verzweifelt“, erzählt sie. Die Schwester lebt in Nowa Kachowka am Fluss Dnjepr in der Südukraine, nahe der Halbinsel Krim. Die für Russland strategisch wichtige Stadt wurde vier Stunden nach Einmarsch der russischen Truppen besetzt, an eine Flucht ist nicht mehr zu denken. Mutter, Vater, die jüngere Schwester und ein Bruder leben auf der anderen Seite des großen Flusses, in Smijiwka, einem Ort mit schwedisch-deutschen Wurzeln, der zur Oblast Cherson gehört.
Susanne Zatsarna war zunächst vor Angst wie gelähmt, an arbeiten war nicht mehr zu denken. Von ihrer Krankenschwester-Ausbildung ließ sie sich für drei Wochen beurlauben. „Ich musste etwas für meine Heimat tun“, sagt sie. Der erste Impuls: Sie wollte vor Ort in der Ukraine als Krankenschwester helfen, ihr Mann wollte sogar zum Militär. „Aber im Konsulat fragte man ihn, ob er eine Waffe hat und Ausrüstung“, erzählt sie. Als er verneinte, sagte man ihm, dass er besser in Deutschland bleibe. Auch ihr wurde davon abgeraten, alleine als Frau dorthin zu gehen. Dass beide diesen Gedanken ernsthaft in Erwägung zogen, obwohl sie zwei kleine Kinder haben, zeigt ihre Verzweiflung und Wut. „Derzeit zähle ich nur die Kriegstage, heute ist der 21. Ich weiß manchmal gar nicht, welches Datum wir haben“, sagt die 40-Jährige.
Konkrete Hilfe leisten zu können, hilft ihr daher auch selbst. Das Mutter-Kind-Heim kennt sie schon länger, steht mit der Leiterin seit Jahren in engem Austausch. „Zurzeit ist die Lage dort schwierig, ständig gibt es Alarm, die Leute rennen in die Keller“, erzählt Susanne. Auf Bildern sieht sie, wie voll das Haus mittlerweile ist. „Es ist zu einem Flüchtlingslager geworden“, sagt sie.
Endlich eine gute Nachricht
Inmitten der Katastrophe kam vor einem Tag endlich eine gute Nachricht: Es hat sich ein Fahrer gemeldet, der einen 7,5-Tonner-Lkw mit den Hilfsgütern rund 3200 Kilometer bis zur Grenze bringen kann. Zur Grenze kommen dann die Mitarbeiter des Mutter-Kind-Hauses und laden die Sachen um. Beim Packen in Bissingen wird eine ukrainische Familie helfen, die sie kürzlich in Esslingen kennengelernt hat. „Eine Mutter und zwei Kinder, der älteste Sohn und der Mann sind wieder zurückgefahren, um in der Ukraine zu kämpfen. Sie ist froh, wenn sie etwas tun kann, das ist wie eine Therapie.“
Haltbare Lebensmittel wie Mehl, Sonnenblumenöl, Dosensuppen oder Haferflocken kann sie noch gut gebrauchen. Sie hat auch schon Geldspenden transferiert. „Die Männer, die nicht an der Front kämpfen, sind in der territorialen Verteidigung unterwegs, befreien Menschen aus zerbombten Häusern. Dafür brauchen sie Benzin, und das ist teuer“, erzählt sie. Ob es einen weiteren Transport geben wird, weiß Susanne noch nicht. Sie will ihre Ausbildung fortsetzen und Geflüchtete unterstützen. Wie lange der Krieg noch geht, vermag sie nicht einzuschätzen. Der Wille ihrer Landsleute ist ungebrochen, gleichzeitig läuft die russische Propaganda von der Befreiung des Brudervolkes weiter. „Die Ukrainer sehen sich nicht als Brüder. Die Leute stellen sich vor russische Panzer und rufen, dass sie niemanden befreien müssen“, sagt Susanne Zatsarna. Ihre Mutter füllt Molotow-Cocktails ab, falls es auch in ihrer Stadt zu Kämpfen kommt. „Sie sagt, sie hat in ihrem Alter nichts mehr zu verlieren“.
Hier kann noch gespendet werden
Gebrauchen kann Susanne Zatsarna neben haltbaren Lebensmitteln wie Sonnenblumenöl, Mehl, Haferflocken oder Dosensuppen auch Verbandsmaterial, Einmalhandschuhe und Windeln. Kleiderspenden seien momentan eher nicht notwendig, sagt sie. Das Gemeindehaus befindet sich in Bissingen, Untere Straße 39. Die Organisatorin ist per Mail erreichbar unter susanne.zatsarna@gmail.com oder telefonisch unter 01 57/51 82 67 71. Voraussichtlicher Abfahrtstermin ist Freitag, 25. März. zap