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Umstrittene Umweltschutz-Maßnahmen: Wer isst schon gern Kirschen mit Maden

Umweltschutz Der sogenannte SUR-Entwurf ist das Schreckgespenst für die Wengerter, Obstbauern und Landwirte im Neuffener Tal. Das wurde bei einem Vororttermin in Beuren abermals deutlich. Von Kai Müller

Rund zwei Hektar groß sind die Weinberge, die Jürgen Pfänder und sein Vater Helmut in Beuren bewirtschaften. „Gerade hängen wir in der Luft“, sagt der Wengerter und Vorstandsvorsitzender der Weingärtnergenossenschaft Hohenneuffen-Teck. Wie soll er planen, wenn er gar nicht so genau weiß, wie es weitergeht. „Die Genossenschaft müsste auch in die Kelter investieren“, sagt Jürgen Pfänder.

 

Wir müssen Naturschutz und Wirtschaftlichkeit unter einen Hut bringen.
Tobias Schmid
Obstbauer aus Owen

 

Das Schreckgespenst, das nicht nur sämtliche Wengerter in der Umgebung umtreibt, sondern auch die Obstbauern und die Landwirte ist als „Sustainable Use Regulation“ (SUR) schon länger Gegenstand hitziger Debatten. Vom Ansatz her ist es eigentlich eine gute Sache, die Europäische Union (EU) will den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln bis 2030 um 50 Prozent reduzieren. Der Haken: der aktuell noch vorliegende Entwurf sieht vor, dass in Schutzgebieten ein komplettes Verbot gelten soll. Gerade für Beuren und auch andere Gemeinden im Neuffener Tal wäre das ein riesiges Problem. Schließlich ist hier die Dichte an unterschiedlichen Schutzgebieten besonders hoch.

Flächen würden stillgelegt

„Wenn SUR umgesetzt wird, würde das für Vieles das Aus bedeuten“, sagt Bürgermeister Daniel Gluiber. Er hatte am Dienstag zu einem Termin in den Beurener Weinbergen geladen. Gekommen waren nicht nur Pfänder, der Obstbau-Obmann Tobias Schmid und die Landwirte Bernd und Martin Schnerring, sondern auch der Grünen-Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel und der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Rainer Wieland (CDU). Weniger Pflanzenschutzmittel, damit kann auch Gluiber gut leben: „Das geht aber nicht von heute auf morgen.“ Weinbau sei in Beuren seit 1000 Jahren nachgewiesen, auch der Streuobstgürtel sei typisch für die Gemeinde am Albtrauf. Sollte das komplette Verbot der Pflanzenschutzmitteln kommen, müssten Flächen stillgelegt werden: „Das würde das Landschaftsbild nachhaltig verändern.“ Zumal auch Alternativen fehlten.

Auch Wengerter Jürgen Pfänder redet nicht lange um den heißen Brei herum: Falls ab 2030 das Verbot greift, sieht er schwarz für den Weinbau und die Weingärtnergenossenschaft im Neuffener Tal: „In allen acht Gemeinden liegen unsere Weinberge in Schutzgebieten.“ Man habe bereits erste Erfahrungen mit pilzwiderstandsfähigen Rebsorten, kurz Piwis, gesammelt. Doch eine Umstellung dauere Jahrzehnte. Und die neuen Weinsorten wie Sauvignac oder Souvignier Gris müssten die Kunde auch erst akzeptieren, die bislang Silvaner, Riesling oder Dornfelder gewohnt waren. Besonders Pilze wie der falsche und echte Mehltau mache den Weinbauern zu schaffen: „Da ist Pflanzenschutz notwendig.“ Das gelte auch für die Biowengerter, die andere Mittel verwendeten, aber dafür auch häufiger fahren müssten. „Wir versprühen Fungizide und keine Insektizide“, stellt Pfänder klar. Für den Traubenwickler gebe es Pheromon-Duftfallen.

„Wir machen alles, was uns vorgeschrieben wird, aber bis 2030 wird das schwierig“, sagt der Wengerter. Tobias Schmid, der in Owen und Umgebung Äpfel und Kirschen anbaut, sieht ähnliche Probleme auf die Obstbauern zu kommen. „Ganz ohne Pflanzenschutz wird es nicht gehen.“ Schließlich gelte auch bei den Anbauflächen, nur wenige liegen nicht in Schutzgebieten. Die Obstbauern haben ebenfalls mit Pilzerkrankungen und tierischen Schädlingen zu kämpfen. Vermadete Kirschen wolle niemand kaufen. „Wir müssen Naturschutz, Pflanzenschutz und Wirtschaftlichkeit unter einen Hut bringen“, fordert Schmid. Er halte das Biodiversitätsstärkungsgesetz für eine gute Lösung.

Entwurf sei „weltfremd“

Der CDU-Europaabgeordnete im Regierungsbezirk Stuttgart, Rainer Wieland, macht Schmid wenig Hoffnung, dass die baden-württembergische Lösung auch eine Blaupause für Europa ist: „Ein deutsches Sondergesetz wird es nicht geben.“ Er halte den SUR-Entwurf für „völlig weltfremd“. Auch weil Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern schon viel mehr erreicht habe. Es sei alles von „Ideologie“ geprägt. Die Wengerter und Obstbauern müssten bei ihm keine Überzeugungsarbeit leisten: „Das ist wie Wasser in einen Bach tragen.“ Auch die Landwirte Bernd und Martin Schnerring sehen die Entwicklungen mit Sorge. „Wir haben Ackerbau und Viehzucht und müssen sicherstellen, dass wir genug Nahrung für die Tiere haben“, sagte Schnerring. Er habe zwei Kinder, die den Hof übernehmen wollen. Gleichwohl seien die Kosten mittlerweile andere, auch die Aufgaben hätten sich verändert: „Die Hälfte meiner Arbeitszeit verbringe ich mit Büroarbeiten.“ Man sei nicht weit weg von Bio, habe aber nicht komplett umgestellt, um Notfallinstrumente zur Verfügung zu haben, wenn es um die Nahrung für die Tiere geht.

Matthias Gastel, Grünen-Bundestagsabgeordneter, hatte sich zuvor bei den Experten seiner Partei und im Bundeslandwirtschaftsministerium schlau gemacht: „Der Entwurf steht zwar formal noch, mittlerweile ist aber nicht mehr Stand der politischen Diskussion“, sagt Gastel. Leistungen, die schon erbracht worden seien, müssten berücksichtigt werden. Es müsse weiterhin anwendbare Regeln geben, auch ein konventioneller Anbau möglich sei. Zudem sei Schutzgebiet nicht gleich Schutzgebiet.

Für Wieland, der mit der CDU der EVP-Fraktion im Europaparlament angehört, ist klar, dass „Unterschiedliches unterschiedlich behandelt werden muss.“ Wer schon ziemlich weit sei, wie Deutschland, der tue sich schwer, noch besser zu werden. Wie das Ringen in Europa ausgeht, lässt sich schwer sagen. „Wir hoffen, dass es einigermaßen gut weitergeht“, sagt der Wengerter Helmut Pfänder und erntet zustimmendes Kopfnicken.

EU-Politiker streiten über die Verordnung

Im Herbst werden sich die EU-Politiker mit der umstrittenen SUR-Unterlage befassen. Interessant dürfte dabei werden, welchen Referenzzeitraum man als Basis nimmt. Dabei gilt: Je weiter man zurückgeht, um so größer fällt der Fortschritt bei der Reduzierung von Pflanzenschutzmitteln aus.

Der Streit um die neue EU-Verordnung ist auch unter den Politikern entbrannt. Im Fokus steht dabei die Berichterstatterin des Europaparlaments für die SUR im Umweltausschuss, Sarah Wiener,

Sarah Wiener hat unter anderem dem Agrar-Ausschuss vorgeworfen, für die Pestizidindustrie zu sein. Allerdings macht sie auch einen Kompromissvorschlag. Da das Totalverbot stark kritisiert wird, sollen bei Schutzgebieten, die weder dem Schutz der Artenvielfalt dienen, noch den Eintrag von Chemikalien in Gewässer verhindern sollen, der Einsatz von bestimmten Pestiziden weiter erlaubt werden.