Übung
UN-Training im Kreis Esslingen: Ein Stück Tschad im Neuhausener Wald

Das Büro des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) trainiert in Neuhausen für den Ernstfall. Wo Spaziergänger auf bewaffnete Soldaten treffen. 

Für eine Woche sah es im Wald bei Neuhausen stellenweise aus wie in einem Krisengebiet. Foto: Markus Brändli

Es sind unerwartete Szenen, die sich an diesem Vormittag im Neuhausener Wald abspielen. Mehrere Personen knien neben zwei Fahrzeugen auf dem Boden, ihre Blicke zu Boden gerichtet. Zwei bewaffnete Männer in Militäruniform schreien sie auf Englisch an. Sie wollen wissen, ob sie Handys oder Geld haben. Gleichzeitig spazieren und radeln mehrere Passanten entspannt an der Szene vorbei. Sie hätten sich daran gewöhnt, sagt Stefan Richter, ein Vertreter der Technischen Hilfswerke (THW): „Das ist hier fast schon Routine.“

Es handelt sich hier nicht um eine Geiselnahme oder einen Überfall, hier wird ein Militär-Checkpoint simuliert. Regelmäßig nutzt der UNHCR, das Büro des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UN), den Wald, um Rekrutinnen und Rekruten auf den Ernstfall vorzubereiten. Die Organisation setzt sich weltweit für den Schutz von Flüchtenden ein.

In Neuhausen werden Krisengebiete simuliert

Während der Übung müssen sich die Trainings-Teilnehmer in ein Krisengebiet versetzen. Dieses Jahr wird in Neuhausen ein Grenzgebiet zwischen dem Sudan und dem Tschad simuliert. Trainiert wird insgesamt eine Woche, wobei ein Großteil im nahe gelegenen THW-Ausbildungszentrum stattfindet. Dort nehmen die Teilnehmer zum Beispiel an Erste-Hilfe-Kursen teil. An zwei Tagen wird das Training praktisch. Dann sollen sich die Trainings-Teilnehmer in verschiedenen Simulationen beweisen, wie zum Beispiel dem Checkpoint.

„Wir bereiten das Training etwa vier bis fünf Monate lang vor“, sagt Alessandro Pasta, Leiter des Trainings und „Emergency Policy Officer“ bei der UN. Während dieser Zeit seien sie auch eng mit dem THW in Kontakt. Weil in den vergangenen Jahren vermehrt Fördermittel gestrichen wurden, musste der UNHCR bereits mehrere Trainings ausfallen lassen. „Davor hatten wir im Jahr mehrere solche Trainings“, so Pasta. Dass dieses Training nun in Neuhausen stattfinden kann, ist vor allem dem THW und dem Auswärtigen Amt zu verdanken, das die Finanzierung übernimmt. Das THW unterstützt die UNHCR bei dem Training. Dazu gehört zum Beispiel die Bereitstellung von Unterkünften, Personal und Ausbildern. Einige THW-Ehrenamtliche spielen während den Simulationen Rollen – zum Beispiel Flüchtende oder Soldaten.

Teilnehmer kommen aus 24 Nationen

An vier Stationen müssen die insgesamt vierzig Teilnehmer aus 24 Nationen beweisen, dass sie auch in Extremsituationen die Ruhe bewahren können. Zum Beispiel im Umgang mit militanten Gruppen an Checkpoints, aber eben auch im Umgang mit Flüchtenden. Eine weitere Station befindet sich etwas weiter im Wald. Auf einer Wiese stehen mehrere Personen um ein Lagerfeuer. Manche von ihnen verkleidet in traditionellen Gewändern, manche auf Krücken. Eine Frau mit Kissen vor dem Bauch spielt eine Schwangere. Simuliert wird hier ein provisorisches Flüchtlingslager. „Diese Leute sind nach dem Ernstfall, sei es Krieg oder eine Naturkatastrophe, hier zusammengekommen, weil es hieß, dass sie hier sicher sind.“

Neben den Rekrutinnen und Rekruten nehmen auch Statisten an der Übung teil. Foto: Markus Brändli

Als die Gruppe vom UNHCR eintrifft, ist es zunächst ruhig. Doch langsam bricht das Chaos aus. Während die Gruppe sich einen ersten Plan überlegt, kommen einzelne „Flüchtende“ zu ihnen. Sie fragen nach Wasser und Essen. Immer mehr schließen sich an, manche werden verzweifelt oder sogar wütend. Kinder schreien nach ihren Eltern, einem Mädchen gelingt es, Wasserflaschen und Handtaschen aus dem Auto der Gruppe zu stehlen, ohne dass diese es bemerken. Die Gruppe gibt ihr Bestes und versucht zu helfen, wo sie kann, doch es reicht nicht. Ein Streit bricht zwischen den Flüchtenden aus, und die Simulation endet damit, dass das Militär Schüsse in die Luft abgibt. Wie auch bei der Checkpoint Simulation gibt es im Anschluss ein Gespräch, in dem die Lage durchgesprochen wird.

Innerhalb von 72 Stunden am Einsatzort

„Wir gestalten die Simulationen so, dass Teilnehmende gängigen Situationen bei Auslandsaufenthalten gewachsen sind“, sagt Alessandro Pasta. Nach Abschluss des Trainings werden die Teilnehmer, die bestehen, vermutlich in wenigen Monaten zu Einsätzen berufen. Wenn es so weit ist, müssen sie in der Lage sein, innerhalb von 72 Stunden vor Ort zu sein, um zu helfen. Das bringt eine gewaltige Menge Stress mit sich.

Auch darauf will man sie so gut es geht vorbereiten. „Was solche Extremsituationen genau bedeuten, sieht man erst, wenn man vor Ort ist“, erklärt Stefan Richter vom THW. Hinzu kommt aber auch eine weitere Hürde. „Die Situation im Sudan ist aktuell eine der gravierendsten auf der gesamten Welt“, so Pasta: „In den Medien wird kaum darüber berichtet, deswegen haben die meisten Menschen das nicht auf dem Schirm. Aber dort wird sehr viel Hilfe benötigt.“