Es war mehr als ein versteckter Vorwurf, zu dem sich Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann jüngst hinreißen ließ und mit dem er den Landkreis Esslingen in Sachen Windkraft anzählte: „Der Kreis muss sich da nach der Decke strecken.“ Tatsächlich dreht sich im Kreis kein einziges Rad – bislang. Landrat Heinz Eininger hat dafür allerdings eine Erklärung – und widerspricht dem Vorwurf, nicht genug zu tun für den Ausbau der Windenergie. Kein Wind, keine Windkraft – so ließe sich verkürzt die Position des Landrats darstellen.
„Der Landkreis Esslingen hat bisher keine Windkraftanlagen, weil auf den potenziell infrage kommenden Flächen die notwendige Windhöffigkeit für einen effizienten Betrieb der Anlagen schlicht nicht gegeben ist“, sagte Eininger. Und nicht nur das: Knapp mehr als die Hälfte der Landkreisfläche sei mit Schutzgebieten belegt, an vielen Stellen sogar mehrfach. Die restliche Fläche sei geprägt von dichter Wohn- und Gewerbebesiedelung. „Unter diesen Voraussetzungen ist die Ausweisung von Standorten für Windkraftanlagen schwer bis nahezu unmöglich. An diesen Tatsachen kommen wir zu unserem Bedauern nicht vorbei, da können wir uns noch so sehr anstrengen“, so Eininger.
Dabei drängt die Zeit. Alle Welt – die EU, Deutschland, Baden-Württemberg und die Kommunen – wollen in den kommenden ein bis drei Jahrzehnten klimaneutral aufgestellt sein. Die EU und Deutschland 2050, das Land Baden-Württemberg und der Landkreis Esslingen 2040, eine Stadt wie Tübingen sogar 2030. Dafür braucht es regenerative Energie – vornehmlich die Kraft der Sonne, des Wassers und der Winde.
Kretschmann kennt die Argumente Einingers und räumt ein, „dass der Kreis Esslingen zwar einer der am dichtesten besiedelten Landkreise in Deutschland“ ist. „Aber nicht überall. Nicht am Albtrauf, wo wir auch Windhöffigkeit haben, und da erwarte ich schon, dass sich etwas tut.“ Indirekt wirft Kretschmann dem Landkreis Passivität vor. „Der Kreis muss selbst aktiv werden und Projektierer animieren, in den Gebieten Windräder aufzustellen – und nicht nur zu warten, bis jemand kommt.“ Im Landratsamt gibt man zu, „derzeit nicht aktiv auf Projektierer“ zuzugehen. Interessierten Antragstellern böte das Landratsamt aber stets einen intensiven Austausch darüber an, ob sich ein Standort für eine Windenergieanlage realisieren lässt.
Keine grundsätzlichen Bedenken
Komplett unmöglich ist dies im Kreis trotz dichter Besiedlung und wenig Wind nicht. Es gibt einen Planungsentwurf für die Region, der im Landkreis mehrere Vorranggebiete für Windkraftanlagen benennt. Diese Gebiete liegen bei Plochingen, Baltmannsweiler, Lichtenwald, Filderstadt, Schlaitdorf, Bempflingen und Großbettlingen. In einem von der Region Stuttgart geführten Beteiligungsprozess wurden seitens des Landratsamtes „keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Eignung der Gebiete erhoben“, so die Behörde. Das heißt allerdings noch nicht, dass die Bahn frei ist für etwaige Windräder, denn konkrete Aussagen seien „freilich erst möglich, wenn entsprechende Genehmigungsanträge gestellt werden“.
Für eine gewisse Irritation sorgte Kretschmann mit seiner These, der Landkreis mache zu wenig für die Windkraft, auch bei Thomas Kiwitt, dem Planungsdirektor der Region Stuttgart. Kiwitt betont, dass das Land sich mit den zwölf Regionalverbänden darauf verständigt habe, dass deren Fachleute ein Konzept entwickeln. „Es hilft uns jetzt nicht weiter, zu sagen: Jetzt sollen alle Städte, Kommunen oder Kreise mit eigenen konzeptionellen Überlegungen kommen“, sagt Kiwitt. Im Landkreis Esslingen gebe es zudem Sondersituationen. „Um den Flugplatz herum geht gar nichts. Rund ums Plochinger Knie gibt es kein vernünftiges Windangebot, und die Kreisflächen auf der Alb sind zum größten Teil Biosphärengebiet“, so Kiwitt. „Jetzt den Kreis aufzurufen und zu sagen, macht euch noch einmal Gedanken, wäre falsch“, erklärt Kiwitt.
Größerer Widerstand gegen die Windkraft gibt es im Landkreis zurzeit vor allem auf dem Schurwald. Hier votierten die Gemeinderäte aus Lichtenwald, Aichwald und Baltmannsweiler bereits mehrheitlich gegen die Pläne. Auch in Filderstadt gibt es Bedenken. Anders in Plochingen: Hier werden Windräder an der nordöstlichen Gemarkungsgrenze ausdrücklich begrüßt. Die Windkraftgegner in Baltmannsweiler führen als Argumente unter anderem Eingriffe in den Mischwald und das Landschaftsschutzgebiet ins Feld. Bürgermeister Simon Schmid betont allerdings, das Votum des Gemeinderats bedeute noch keine Verhinderung von Windkraft.
Was der Landkreis Esslingen für das Klima macht
Solarenergie Auch wenn es im Landkreis noch keine Windkraft gibt, tut sich dennoch einiges auf dem Gebiet. Nach Auskunft des Landratsamts sind – Stand September 2023 – im Landkreis PV-Anlagen mit einer Bruttoleistung von fast 223 000 Kilowatt-Peak (kWp) installiert. Die Einheit kWp gibt die maximale Leistung der Solaranlage an. Der Photovoltaik-Zubau habe sich in den vergangenen beiden Jahren stark beschleunigt, heißt es. Im Vergleich mit den landesweiten Daten war laut Landratsamt die Steigerung im ersten Halbjahr 2023 mit zwölf Prozent im Vergleich zu 2022 größer als im landesweiten Schnitt, der bei fünf Prozent liegt.
Erdwärmesonden Im Landkreis Esslingen gibt es rund 1780 Erdwärmesonden. Damit gehört der Landkreis Esslingen laut dem Landratsamt zu den Kreisen mit den höchsten Anlagenzahlen in ganz Baden-Württemberg. Die Größenordnung der Erdwärmenutzung entspreche bereits heute dem Betrieb mehrerer Windkraftanlagen. jmf