Nach dem Tod von Luca S.
„Unsere Tochter hätte Yamur geheißen“

Etwas mehr als ein halbes Jahr nach dem gewaltsamen Tod von Luca S. in Esslingen äußert sich jetzt die Verlobte. Was gibt ihr Kraft, nach dem Verlust weiterzumachen?

75 Prozent ihrer Haut sind verbrannt: Lucs S.’ Verlobte kämpft sich ins Leben zurück. Foto: Sascha Maier

Klara B. kommt vom Sport, hat noch schnell geduscht, wie es wahrscheinlich Tausende Frauen um die 30 in Esslingen jeden Tag tun. Was sie aber vor acht Monaten erlebten musste, passiert den allermeisten Menschen im ganzen Leben nicht: Am 14. November erschießt ein Mieter, der im selben Haus wohnt, ihren Freund und Verlobten Luca S., richtet die Waffe gegen sich selbst und brennt das Gebäude nieder. Klara B., die in Wirklichkeit anders heißt, fängt Feuer und springt aus dem ersten Stock – fast nackt; der Sprung rettete ihr vermutlich das Leben. Auch Luca S.’ Vater, dem das Haus gehört und der ebenfalls dort wohnt, überlebt.

Brandnarben am ganzen Körper zeugen noch heute von den furchtbaren Vorkommnissen, die Esslingen in Schock versetzten. Nur ihr Gesicht hat wie durch ein Wunder nichts abbekommen. „75 Prozent meiner Haut sind verbrannt“, sagt Klara B. Eigentlich hatten ihr Ärzte geraten, die verletzte Haut komplett bedeckt zu halten, wegen der Sonne. Sie trägt dennoch einen Rock, die Narben sind deutlich zu sehen. Aber es ist auch heiß an diesem Tag. „Das Thema Strand ist für mich erledigt“, sagt sie trocken.

So normal wie eben möglich und mit so viel Humor wie eben möglich will Klara B. weitermachen, nachdem sie erleben musste, wie ihr damals 31-jähriger Verlobter, mit dem sie noch so viele Pläne hatte, mit einem selbstgebastelten Schussgerät von dem Nachbarn umgebracht wurde. Von einem Mann, vor dem sie sich auch zuvor fürchtete, der sie gestalked haben soll, wegen dem sie lieber den Eingang über die Bäckerei im Haus nahm, um ihm nicht begegnen zu müssen.

Der Glaube an das Gute im Menschen

Klara B. fällt es nicht leicht, über das Erlebte zu sprechen. Auffällig ist, dass in ihrer Stimme während des ganzen Gesprächs nicht ein Mal Zorn mitschwingt, obwohl sie nach menschlichen Maßstäben genug Gründe hätte, sehr zornig zu sein. „Ich glaube immer noch an das Gute im Menschen“, sagt sie.

Das Schlechte im Menschen hat im vergangenen Jahr zu Genüge kennengelernt: Als sei es nicht schlimm genug gewesen, den Verlobten, die gemeinsame Wohnung, die körperliche Unversehrtheit zu verlieren, hat irgendjemand ihren Sprung aus dem Fenster auch noch gefilmt und das Video davon verbreitet. Durch den Sturz wurde auch ihre Wirbelsäule verletzt, Klara B. klagt noch heute über Rückenschmerzen deswegen. Die verbrannten Hautstellen würden auch nach Transplantationen und mehrmonatigen Krankenhausaufenthalt noch weh tun – oder taub sein.

Trauerveranstaltung an der Brandruine – die Verlobte von Luca S. sprang hier vergangenen November aus dem Fenster. Foto: Roberto Bulgrin

Die Tat des 61-jährigen Mieters, der seine Waffen selbst baute, warf ihren Schatten voraus – hier decken sich die Aussagen von Klara B. mit denen von Luca S.’ Vater, Rolf Seufferle und einem ehemaligen Anwalt des Mieters, die ihn allesamt als extrem verschroben beschrieben hatten. „Ich konnte mal einen Blick in seine Wohnung werfen. Da stand nur eine Werkbank, sonst nix“, sagt Klara B., die vermutet, dass er die Waffe, mit der er später ihren Verlobten töten sollte, dort herstellte.

Flaschen vor die Wohnungstür gestellt

Außerdem habe der Täter Luca S. und sie „Paul und Paula“ genannt, worauf sie sich nie einen Reim machen konnte. „Er schnitt irgendwelche Logos von Supermarktprodukten aus und klebte sie aneinander“, erzählt die inzwischen 33-Jährige, „manchmal stellte er auch Flaschen vor unsere Tür, die dann klirrten, wenn wir die Wohnung verlassen wollten.“ Ständig sei die Polizei Am Kronenhof gewesen, was diese bereits kurz nach der Tat bestätigt hatte. Der Mieter sei polizeibekannt und verhaltensauffällig gewesen.

Klara B. erzählt auch, von ihm mehrfach mit dem Tode bedroht worden zu sein. Während das Umfeld der Familie bis heute fassungslos darüber ist, dass die Behörden nicht früher eingegriffen haben und die Vorzeichen erkannt haben, kommt die Heilbronner Staatsanwaltschaft, die mögliche Behördenversäumnisse untersucht hat, zu einem anderen Ergebnis.

In einem sogenannten Prüfbericht, den sie vergangene Woche veröffentlicht hatte, heißt es zur Bedrohungslage: „Hinsichtlich der angezeigten Straftatbestände der Bedrohung sowie der Körperverletzung und Beleidigung bestand zwar ein dringender Tatverdacht. Insoweit lagen aber die gesetzlich erforderlichen Haftgründe der Flucht- und Verdunkelungsgefahr nicht vor.“

Verlobte hätte sich Entschuldigung von Behörden gewünscht

Auch die Schusswaffe, von deren Existenz die Polizei zwar durch einen Zeugen noch vor der Tat in Kenntnis gesetzt worden war, sei als „Klickding“ beschrieben worden, als ein Gegenstand, der nicht mit dem Gefahrenpotenzial einer Schusswaffe vergleichbar sei. Eine Fehleinschätzung – allerdings sei bei der Beurteilung aus strafrechtlicher Sicht nicht die nachträgliche Betrachtung der Frage maßgebend, wie die Tat hätte verhindert werden können, sondern ob die Beteiligten zum Entscheidungszeitpunkt „fachlich und rechtlich vertretbar gehandelt“ hätten.

Der Prüfbericht und die damit verbundene Berichterstattung haben Klara B. wieder etwas zurückgeworfen, sagt sie. Was sie sich von den Behörden gewünscht hätte: „Eine Entschuldigung, dass wir nicht ernst genommen wurden.“

Da die Staatsanwaltschaft nicht weiter ermittelt und auch Vater Rolf Seufferle in seinem fortgeschrittenen Alter Jahren keine langwierige juristische Auseinandersetzung anstrebt, will Klara B. jetzt vor allem, dass man sich an ihren Verlobten so erinnert, wie er gewesen sei: „Lustig und lebensfroh – einer, der jeden so genommen hat, wie er ist.“

Mit Sport zurück ins Leben

Acht Jahre waren sie und Luca S. zusammen. Rolf Seufferle beschrieb die beiden so: „Auch nach der langen Zeit tauschten sie immer kleine Zärtlichkeiten aus, das war immer schön zu sehen.“ In den Jahren 2022 und 2023 war das Paar auf Weltreise, spätestens dann wurden sich die beiden über ihre Absicht gewiss, im anderen den Partner fürs Leben gefunden zu haben.

Klara B.’s Leben ist jetzt ein anderes. Schritt für Schritt kämpft sie sich zurück. Eine zentral gelegene Wohnung in der Esslinger Innenstadt hat sie inzwischen gefunden. Sonst helfe ihr vor allem der Sport, Struktur in ihren neuen Alltag zu bekommen. Vor dem November 2024 hatte sie sogar für einen Halbmarathon trainiert.

Auch eine Therapie habe sie angefangen. „Wenn ich jemanden sehe, der dem Täter ähnlich sieht oder Rad fährt, erschrecke ich immer noch, obwohl ich weiß, dass er tot ist“, sagt Klara B. – der Brandstifter und Schütze vom Kronenhof war viel mit seinem Fahrrad unterwegs gewesen.

Paar hatte einen Kinderwunsch

Auch in die Arbeitswelt will sie demnächst wieder einsteigen und dort anknüpfen, wo sie nach dem 14. November im Vorjahr aufgehört hat. Klara B. wollte nach einem Bürojob umschulen, Heilerziehungspflegerin werden. Erste Gespräche zur Wiedereingliederung habe sie bereits mit ihrem alten Arbeitgeber geführt.

„Aber das Wichtigste sind Freunde und Familie“, sagt Klara B. Vor allem mit dem Vater Rolf Seufferle und Freunden von Luca S., die wie er in der Fanszene der Stuttgarter Kickers unterwegs waren, habe sie die gemeinsame Trauerbewältigung noch enger zusammengeschweißt als zuvor.

Wobei Seufferle und Klara B. auch schon zuvor Pläne geschmiedet hatten, falls Luca S. und sie Kinder bekommen hätten: „Unsere Tochter hätte Yamur geheißen“, sagt Klara B. Das türkische Wort für „Regen“ habe beiden vor allem vom Klang her gut gefallen. Luca S. habe da gar kein Mitspracherecht mehr gehabt, erinnern sie sich augenzwinkernd. Vor dem geistigen Auge habe der Seufferle sein „Enkele“ schon im Esslinger Maille-Brunnen baden gesehen. Wünsche, die nie in Erfüllung gehen werden.