Dettingen. 18 Menschen sind es, die sich am Montagabend um 18 Uhr vor dem Rathaus versammeln. Sie haben Kerzen in der Hand und jede Menge Wut im Bauch. Fragt man sie, warum sie schon seit sieben Wochen jeden Montagabend eine Stunde lang durch Dettingens Ortsmitte laufen, nennen sie als Erstes die Impfpflicht, gegen die sie protestieren wollen. Angesichts hoher Infektionszahlen zweifeln sie erheblich am Nutzen der Impfung, ja, glauben sogar, im nahen Umfeld Belege für deren Gefährlichkeit entdeckt zu haben.
Neidlingen. Im letzten Abendlicht hebt sich die Eule gegen den Himmel ab, als sie über die Hauptstraße beim Neidlinger Rathaus fliegt und hinter dem nächsten Scheunendach verschwindet. Eine Mutter springt mit ihrem Kind geschwind über die Straße – Stille herrscht an diesem Montag im Reußensteinort – und im Rathaus brennt ein Licht. Der Bürgermeister hat noch keinen Feierabend.
Holzmaden. Um 18 Uhr ist es so still im Ort, dass die nahe Autobahn das dominierende Geräusch ist. Doch eine Stunde später kommt am Rathaus etwas Leben auf. Gut zwei Dutzend Menschen versammeln sich um 19 Uhr in ruhiger Atmosphäre auf dem hell erleuchteten Platz. Man kennt sich, spricht miteinander, lacht. Alle tragen dicke Mützen, warme Klamotten – und keine Masken.
Ohmden. Ein Mann sitzt in der Bushaltestelle beim Ohmdener Rathaus. Außer ihm ist keine Menschenseele zu sehen. Kurz bevor die Glocken zur vollen Stunde schlagen, kommt sein Bus. Das Rathaus bleibt einsam zurück.
Lenningen. Das Wartehäuschen an der Bushaltestelle in Hochwang reicht um 18 Uhr gerade so, um den Protestierenden Schutz vor dem eisigen Wind zu bieten, der ihnen gefühlt wohl nicht nur an diesem Montag entgegenbläst. „Ich habe den Eindruck, viele Geimpfte werden immer aggressiver“, beklagt sich eine der Frauen, als der Tross inzwischen auf rund 20 Menschen angewachsen ist. Eine jahrzehntealte Freundschaft sei ihr aufgekündigt worden. Ähnliche Erfahrungen hat eine andere Teilnehmerin des „Spaziergangs“ gemacht. Ironisch wird von Geboosterten geredet, die wegen „Omikrönchen“ zu Hause sitzen, davon, dass Corona nichts anderes als eine Grippe sei, Masken nichts nützten und Kindern schadeten. Die Wirtschaft sei durch die Corona-Politik kaputt gemacht worden, sagt eine Frau und schiebt hinterher: „Wer hat sich beim Friseur angesteckt?“ Das ist nicht die letzte Frage, mit der sich die Reporterin in dem klirrend kalten Albdorf an diesem Abend im doppelten Sinn aufs Glatteis geführt fühlt.
Owen. Einsam und stumm – die Linde vor dem Eingang zur Amtsstube ist die einzige, die an diesem Montagabend auf dem Rathausplatz in Owen der Dämmerung harrt. Sie steht hier immer und Corona ist ihr ziemlich wurscht.
Weilheim. Der Menschenstrom scheint kaum abzureißen: Rund 100 Männer, Frauen und Kinder ziehen an diesem Montagabend durch die Weilheimer Altstadtgassen. Einige tragen Kerzen und Laternen in den Händen, auf Masken und Abstand dagegen verzichtet man hier. Das gemeinsame Anliegen: Unmut gegenüber der Corona-Politik ausdrücken. Eine Weilheimer Unternehmerin ist seit dem dritten Montagsspaziergang regelmäßig dabei. „Die Willkür nervt mich“, begründet sie das. „Da wird schnell mal am Freitagabend etwas beschlossen, und wir müssen es umsetzen.“ Aus ihrer Sicht stimmt auch die Relation zwischen tatsächlicher Bedrohung durch das Coronavirus und den Maßnahmen nicht. „Bald haben wir Zustände wie in der DDR“, greift sie zu drastischen Worten. Eine andere fürchtet eine Spaltung der Gesellschaft und beklagt die Isolation. Sie selbst sei davon betroffen, weil sie sich entschieden habe, „impfstofffrei“ zu leben: „Ich habe dadurch Freiheiten verloren.“
Bissingen. Mit dem 18-Uhr-Geläut der Marienkirche ist der kleine Platz vor dem Rathaus gut gefüllt. Rund 30 Leute sind gekommen, man kennt sich. „Das sind Bissinger, für Leute von außen bietet der Ort keine Plattform. Wer Ärger machen will, hat keine Chance“, sagt der Gesprächspartner, zwischen 40 und 50 Jahre alt und Handwerker. Eine Querdenker-Veranstaltung käme für ihn nie infrage. Er leugnet weder Virus noch den Sinn bestimmter Maßnahmen: „Ich bin gegen die Impfpflicht. Jeder muss frei entscheiden dürfen.“ Zumal die Impfung nicht gegen eine Infektion schütze. Er hat sich wegen des Jobs impfen lassen. Was den Bissinger am meisten stört: „Dass wir als Nazis bezeichnet werden. Das macht schon aggressiv.“ Eine Gegendemonstration gibt es auch: zwei Frauen mit Plakaten. Da geht es um Vertrauen in die Wissenschaft und Leben retten. Es sind die einzigen, beide Seiten grüßen freundlich. Plötzlich hält der Bus: „Soll ich Euch noch ein paar Leute bringen?“, fragt der Fahrer. Gelächter. Wenn ein Teilnehmer nicht noch von Handystrahlen in seinem Wohnzimmer angefangen hätte: Es hätte fast ein Dorftreff sein können.
Notzingen. Am Rathaus laufen um 18 Uhr ein paar Kinder mit einem Basketball die Straße entlang. Nach Demonstranten sehen sie nicht aus. Der Parkplatz ist leer, kaum ein Licht brennt. Bei einer Rundfahrt durch Notzingen zählt man mehr Baustellen als Spaziergänger. red