Wie klingt die Markuspassion von Johann Sebastian Bach, Uraufführung am 23. März 1731 in Leipzig? Man weiß es leider nicht recht, denn sie gilt als verschollen und es bleiben nur zweifelhafte Rekonstruktionsversuche. Wie klingt die Markuspassion von Leonard Hölldampf, Uraufführung am 27. März 2022 in der Peterskirche in Weilheim? Nach Bach und Buxtehude, Zwölftonmusik, Gregorianik oder Marschmusik? Ein wenig war von allem Genannten dabei, und das nicht aus Effekthascherei. Die Zuhörer spürten bei der vom Komponisten selbst dirigierten Aufführung, wie eingehend dieser sich mit den letzten beiden Kapiteln des Evangeliums nach Markus und der Leidensgeschichte Jesu beschäftigt hat. „Ich habe Markus noch nie so gehört wie heute“, sagte der Prälat i. R. Paul Dieterich nach der Aufführung. Er wolle das Programmheft mit Erläuterungen zu Hause nochmals eingehend studieren. Leonard Hölldampf steht klar dazu, auf welchen Schultern seine eigene Komposition steht. Aber er bleibt nicht bei alten Vorbildern stehen, sondern entwickelt mit eigenen Ideen weiter. Das Ergebnis ist eine überzeugende und eindrückliche Mischung.
Der Chor an der Peterskirche wurde von einem Kammerorchester mit Studenten der Stuttgarter Musikhochschule begleitet. Die Solisten und Solistinnen kamen aus Chor und Orchester, das Niveau war durchweg sehr hoch. Alle stellten sich der beachtlichen Vielfalt, die diese Aufführung von ihnen verlangte. Einige waren gleich mehrfach gefragt, wie Anna-Maria Wilke als Sopran, an der Gambe und den Percussions. Die Texte des Evangelisten Markus wurden nicht gesungen, sondern von Pfarrer Matthias Hennig im Wechsel mit der Musik rezitiert.
Der Eingangschor mit dem Choral „Halt im Gedächtnis Jesu Christ“ lehnte sich an den Stil von Buxtehude an, der nächste Chor hatte seine Vorbilder bei Bach und Mendelssohn. Im Rückblick auf die Frau, die Jesus vor seinem Tod gesalbt hat, zitierte Leonard Hölldampf „Ruhet wohl ihr Heiligen Gebeine“ aus Bachs Johannespassion.
Der anschließende Sprung in die zwölftönige Klangwelt war dem schroffen Text geschuldet: Im Angesicht des Verräters Judas spricht Jesus vom Antichristen und seiner letzten Stunde. Bei der zweiten Strophe des Liedes „Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld“, die anschließend erklang, wirkten drei Erfinder zusammen: Der Text stammt von Paul Gerhardt, die Melodie schrieb Wolfgang Dachstein im Jahr 1525, der Satz stammte von Leonard Hölldampf. Dass in diesem Choral die Perspektive des Gläubigen eingenommen wird, steht wiederum in bester Tradition von Bach: Was da alles besungen wird, geschieht nicht einfach nur bedeutungslos. Es hat etwas mit einem als Mensch zu tun und verlangt nach einer Antwort.
In der Abendmahlsszene klang etwas Gregorianik an, wenig später dann Marschmusik. Denn den Choral „Jesus, geh voran“ hatte Leonard Hölldampf als Parodie vertont, der die übereifrige Selbstsicherheit der Jünger darstellt. Er werde bereitwillig mit Jesus sterben, hatte der impulsive Petrus verkündigt – doch schon bald leugnete er, Jesus überhaupt gekannt zu haben, dann krähte der Hahn.
Was war der Prozess gegen Jesus für eine Farce: Es gibt keinen Grund für eine Anklage, also treten Lügner auf. Sie geben sich noch nicht einmal die Mühe, übereinstimmend zu lügen. Die grausame Aufforderung der Leute an den misshandelten Jesus, „weissage uns“, bricht der Komponist auf einzelne experimentelle Laute herunter: Wertloses Geschwätz wird zu dadaistischem Gesang.
Die Aufforderung „Kreuzige ihn!“ erklingt in anschwellendem Geschrei, dann folgt mit „Herzliebster Jesus, was hast du verbrochen“ ein Choral zum ungerechten Urteil über den Unschuldigen. Ungewohnt scharf erklingt „O Haupt von Blut und Wunden“, der Sopran singt nur die Vokale. Die letzten einsamen Worte Jesu verhallen in den Echos von Fagott und Oboe, bevor im Schlusschor schon ein wenig von Ostern und der Auferstehung aufleuchten.
Nur eines war kaum zu glauben: Das Programmheft kündigte die Aufführung als „singuläres Ereignis“ aus „handschriftlichen Noten“ an. Wer weiß – auch die verschollene Markuspassion von Johann Sebastian Bach erklang mindestens zweimal, 1731 und 1744.
Ein großer Dank zum Abschied
Das Konzert war zugleich der Abschied von Leonard Hölldampf, Jahrgang 1995, als Kantor in Weilheim. Fünf Monate war er mit einer 50-Prozent-Stelle zur Vertretung in Weilheim, ab 1. April ist er Kirchenmusiker im Praktikum an der Stadtkirche Aalen.
Leonard Hölldampf habe „zweimal zu 50 Prozent gearbeitet und zu 100 Prozent geliefert“, dankte ihm Pfarrer Matthias Hennig und zitierte eine lange Liste von Hölldampfs musikalischem Wirken in Weilheim, die nach viel mehr als nach fünf Monaten klang. „Du hast uns in Erstaunen versetzt, du bist ein Kirchenmusiker von A bis Z, vom Arrangement bis zum Zwischenruf bei den Abkündigungen.“ Er habe nicht nur eine ganze Passion komponiert: „Du hast im Pfarrhaus 1100 DIN A3-Blätter kopiert.“ Bei dieser Bemerkung gab es in der sehr gut besetzten Peterskirche kräftiges Gelächter. pd