Nein, es war keine Liebe auf den ersten Blick. „Ich war entsetzt, als ich das Ding gesehen habe“, erinnert sich Norbert Schaeberle und lächelt beim Gedanken an die erste Begegnung: „Als 18-Jähriger wollte ich unbedingt ein schickes Motorrad haben – und mein Vater kam mit einer 22 Jahre alten UT an.“ Aber er hat die knallblaue TS 175 F schnell in sein Herz geschlossen, „weil sie sehr zuverlässig war“. Und noch heute, fast fünf Jahrzehnte später, fährt er gern mit dieser Maschine, Baujahr 1954. „Sie läuft und läuft und läuft.“
Es blieb nicht bei diesem einen Zweirad aus Stuttgarter Produktion. „Bald schon kamen Motorrad Nummer zwei, drei und vier hinzu“, erzählt der Esslinger, der mittlerweile ein wahrer Experte für die Marke UT ist. Deren Geschichte begann 1922 in Untertürkheim – für den Ort stehen die beiden Großbuchstaben im Firmennamen. Konstrukteur Hermann Scheihing, selbst begeisterter Motorradfahrer, entwickelte in seiner kleinen mechanischen Werkstätte zunächst nebenher flotte Maschinen – ab 1924 standen dann die ersten Modelle der Firma „UT Motoren- und Fahrzeugbau“ zum Verkauf bereit. Das stabile Fahrgestell, der tiefe Schwerpunkt, die sorgfältige Verarbeitung, die technischen Raffinessen: „Die Motorräder waren ziemlich fortschrittlich“, schwärmt Norbert Schaeberle und verweist auf zahlreiche Erfolge der UT-Maschinen bei Bergrennen und Zuverlässigkeitsfahrten in den Jahren 1925 und 1926.
„Egal, wo wir hinkommen, immer fragen uns die Leute, was das für ein Motorrad ist“, berichtet Norbert Schaeberle. „Und wir erzählen sehr gern darüber“, fügt sein Sohn Alexander hinzu. Sie gehören zu den „UT-Motorrad-Freunden“, einem losen Zusammenschluss von Besitzern der Marke. Den gibt es seit dem Jahr 2000, als für die 800-Jahr-Feier Untertürkheims Mitwirkende am Festumzug gesucht wurden. Auch die beiden Esslinger nahmen daran teil – der damals dreijährige Alexander habe auf dem Tank der Maschine sitzen dürfen, erzählt sein Vater schmunzelnd. „Ich fand das Mitfahren cool“, ergänzt der Junior, der mit 15 Jahren schließlich seine erste UT bekam: eine VS 100.
Die sei zwar „in einem elenden Zustand“ gewesen, „aber es war, bis auf die Sitzbank, alles da“. Das war ein echter Glücksfall. Ersatzteile zu finden, ist nämlich sehr schwierig, wissen die passionierten Schrauber aus Erfahrung. Vater und Sohn, beide von Beruf Gebäudetechniker, sind längst im Restaurieren von alten UT-Maschinen erfahren, „das ist unser gemeinsames Hobby“. Jetzt, nach zehn Jahren, steht das „Jugendprojekt“ kurz vor dem Abschluss. „Es muss nur noch der Tank lackiert werden“, sagt Alexander Schaeberle sichtlich stolz. Die Zeit drängt: Im August will er das Motorrad beim traditionellen Oldtimertreffen im Freilichtmuseum Beuren präsentieren.
Unter dem Motto „100 Jahre UT“ ist dort eine Sonderschau geplant, die Norbert und Alexander Schaeberle organisieren. Bislang gebe es 20 feste Zusagen, „aber wir hoffen, dass noch ein paar mehr UT-Fahrer kommen werden“. Immerhin umfasst die Kontaktliste der UT-Freunde rund 250 Motorräder und ihre Besitzer aus Deutschland, aber auch aus Luxemburg, Österreich und der Schweiz. „Sogar aus Australien ist einer dabei“, zählt Alexander Schaeberle auf.
Kuriose Funde gibt es immer wieder. „Vor zwei Jahren“, erzählt Norbert Schaeberle, „hat sich jemand gemeldet, der in einer Scheune eine nagelneue, originalverpackte UT entdeckte. Die hatte sein Großvater vor dem Krieg gekauft. Dann wurde er eingezogen und kehrte nicht mehr zurück.“ Einen fünfstelligen Wert dürfte diese durchaus haben.
Infos zu den Motorradfreunden sind unter www. ut-motorrad-freunde.dezu finden. Wer bei der Schau mitmachen will, meldet sich unter der Nummer 07 11/3 90 24 18 90.
Die Historie der Marke UT
1922–26 Der Rennfahrer Hermann Scheihing machte sich nach seiner Tätigkeit bei der Daimler-Motoren-Gesellschaft selbstständig und eröffnete im Jahr 1922 in Untertürkheim eine mechanische Werkstätte. Dort baute er wenig später die ersten Motorräder. Mit den Modellen bestritten er und seine Freunde Rennen. So machten sie die Marke UT international bekannt. Die Nachfrage wurde aber zu groß für die kleine Firma.
1927–30 Bergmüller & Co. in Vaihingen/Filder übernahm die Produktion der UT; Scheihing arbeitete dort noch eine Zeit lang als technischer Berater. Im Zuge der Wirtschaftskrise stieß die Firma den Zweig 1930 ab.
1931–62 Zwei ehemalige Bergmüller-Mitarbeiter, Johann Schnürle und Hugo Schwenk, übernahmen die Motorradproduktion. 1935 zogen sie mit ihrer Firma in eine leer stehende Weberei an der Balinger Straße 15 in Möhringen. In den besten Zeiten schraubten die rund 35 Angestellten dort 3500 Motorräder im Jahr zusammen. 1961 starb Hugo Schwenk, und Johann Schnürle produzierte zusammen mit zwei Mitarbeitern noch ein weiteres Jahr Motorräder, allerdings nur auf Bestellung. 1962 war damit Schluss. Bis 1969 konnten aber noch Ersatzteile für die UT-Modelle bezogen werden. eh