Gefahr
Verhindern Reflektoren Wildunfälle?

Wissenschaftliche Belege für die technische Wirksamkeit gibt es nicht. Kirchheims Kreisjägermeister setzt eher auf Zäune an Unfallschwerpunkten. 

Jetzt im Herbst häufen sich wieder Wildtierunfälle. Um diese zu verhindern, sind auch in der Teckregion an vielen Leitpfosten blaue Wildwarnreflektoren angebracht. Foto: Carsten Riedl

Franz Gröschel aus Plochingen war beruflich bedingt viel mit dem Auto auf Deutschlands Straßen unterwegs – und musste dabei mehrere Situationen erleben, bei denen es zu Unfällen mit Wildtieren kam. „Ich hatte das Glück, selbst nie einen Wildunfall zu haben. Aber ich war bei vielen solcher Fälle dabei“, blickt der Rentner zurück.

Dass zahlreiche Wildtiere auf diese schreckliche Weise zu Tode kommen, lässt ihn nicht los. Deshalb hat er sich in den vergangenen Jahren intensiv mit dem Thema beschäftigt – auch mit den blauen Reflektoren, die an vielen Leitpfosten entlang der Fahrbahn angebracht sind und die den Wildtieren optisch „Gefahr“ signalisieren sollen. Im besten Fall wird so verhindert, dass die Tiere über die Straße und dort vor Fahrzeuge laufen.

Das Problem bei diesen Reflektoren jedoch sei, dass diese das optische Signal rückwärts lenken, sagt Gröschel. „Die optische Wildwarnung muss aber direkt zum Wild auf der Straße, also vorwärtsgestrahlt, gerichtet werden“, betont er. Wichtig sei, dass das Wild durch das Signal direkt angesprochen werde, um so das Instinktverhalten auszulösen. „Wildunfall-Verhütung kann nur dann erfolgreich sein, wenn sich die Warnung nach dem Tierverhalten richtet“, gibt der 80-Jährige zu bedenken, der früher als Maschinenbau-Ingenieur tätig gewesen war. Im Jahr 2013 entwickelte er einen eigenen, neuen Wildwarnreflektor-Typ: Diese vorwärtsstrahlende Reflektor-Bauart hat er mit einem blau-transparenten Gehäuse konzipiert, erklärt der Plochinger. Das farbige Signal werde durch das Gehäuse direkt nach vorne zum Wild, also in den Bereich vor dem Fahrzeug, gestrahlt. Nach den Gesetzmäßigkeiten des Tierverhaltens würden die Wildtiere so dazu animiert, sich von der Gefahr wegzubewegen, sagt Gröschel - und betont, dass sein Reflektor-Typ bereits Erfolge zeige. So habe ein Jäger, der auf seinen Revierstraßen bis 2016 jährlich etwa 20 Wildunfälle zu verzeichnen hatte, seit dem Anbringen der vorwärtsstrahlenden Reflektoren nur noch vier Wildunfälle pro Jahr.

 

Wildunfälle zu verhindern, ist für die Jäger eine freiwillige Sache.

Kirchheims Kreisjägermeister German Kälberer 

 

German Kälberer, Kirchheims Kreisjägermeister, ist da jedoch nicht ganz so euphorisch. Denn egal, welche Bauart: Generell gebe es keine wissenschaftlichen Belege für die technische Wirksamkeit der Reflektoren. „Viele Jäger montieren sie trotzdem nach dem Motto ,Schaden kann’s ja nicht‘“, weiß Kälberer. Es seien aber nur subjektive Feststellungen, dass Wildunfälle dadurch reduziert werden. Die Abschreckung durch die Reflektoren funktioniert seiner Meinung nach nur eine Zeit lang; anschließend trete bei den Tieren ein Gewöhnungseffekt ein, sodass sie wieder über die Straße laufen.

Das Anbringen der Reflektoren habe außerdem vor allem anfangs zu Ärger geführt: Denn die Straßenverkehrsbehörde sei nicht begeistert davon gewesen, dass „die Dinger an ihre Leitpfosten geschraubt wurden“. Da sei von Sachbeschädigung die Rede gewesen. „Für das Montieren der Reflektoren braucht man eine Genehmigung.“

Franz Gröschel aus Plochingen hat einen neuen Wildwarnreflektor-Typ entwickelt. Foto: Carsten Riedl

Dass Wildunfälle mit hohen Sach- und oft auch Personenschäden in der Teckregion ein großes Thema sind, weiß der Kreisjägermeister. Das erste Mittel zur Vermeidung sei angepasstes Fahren; an vielen Unfallschwerpunkten helfe letztlich aber nichts anderes als das Anbringen eines Zauns. Dies jedoch sei oft mit Schwierigkeiten verbunden, weil ein Zaun Geld kostet. „Die Jäger haben nur das Jagdrecht gepachtet und sind nicht zuständig für solche Geschichten. Wildunfälle zu verhindern, ist für sie eine freiwillige Sache. Verpflichtet ist dazu keiner“, verdeutlicht Kälberer. Er nennt als Beispiel einen Unfallschwerpunkt zwischen Nabern und Weilheim: Dort hatte es früher einen Zaun gegeben, der jedoch im Rahmen von Holzarbeiten entfernt werden musste. „Seit er weg ist, gibt es an dieser Stelle nachweisbar deutlich mehr Wildunfälle.“ Der Zaun sei nach den Baumfällarbeiten nicht mehr aufgestellt worden, „weil alle die Kosten gescheut haben“.

Große Dunkelziffer bei Wildunfallzahlen

Wildwarnreflektoren seien aufgrund wissenschaftlicher Untersuchungen in ihrer Wirkungsweise umstritten, sagt Simon Keck vom Landesjagd-Verband Baden-Württemberg. Der Landesjagdverband bewerbe den Einsatz der Reflektoren nicht mehr aktiv – auch, weil die technische Wirksamkeit aufgrund wissenschaftlicher Untersuchungen und Feldstudien, beispielsweise durch die Technische Universität Dresden und die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt, als unzureichend einzuschätzen sei.

Um die Zahl der Wildunfälle zu verringern, habe der Arbeitskreis Verkehrssicherheit und Wildtiere (bestehend aus Vertretern des Ministeriums für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, des Innenministeriums, des Verkehrsministeriums und des Landesjagdverbands) einen Maßnahmenkatalog entwickelt. Dieser empfehle unter anderem ein angepasstes Straßenumfeld, beispielsweise durch die Rücknahme des Wald- oder Feldrandes, oder den Einsatz von elektronischen Wildwarnanlagen (Displays) am Straßenrand. Die im Arbeitskreis entwickelten Maßnahmen würden derzeit in zwei Projektgebieten getestet.

Bei den Wildunfallzahlen gebe es eine große Dunkelziffer, gibt Keck zu bedenken. Die einzigen belastbaren Zahlen zu Wildunfällen würden aus der Jägerschaft stammen: „Sie kommen aus der Jagdstreckenstatistik, in der auch die Verkehrsverluste erfasst werden“. In die polizeiliche Statistik würden bislang nur Wildunfälle mit einem erheblichen Personen- oder Sachschaden gelangen. An der Verbesserung der Wildunfallzahlen arbeite das FVA-Wildtierinstitut: Wildunfall-Daten, die durch Jäger, die Polizei oder sonstige Akteure erhoben werden, werden zusammengeführt, „sodass ein realistischeres Bild von Unfallschwerpunkten entsteht“. hei