Kirchheim. Die Kirchheimer Vesperkirche unterscheidet sich in mindestens zwei Punkten von ihrer Stuttgarter Vorläuferin. Erstens kann sie auf keine ganz so lange Tradition zurückblicken. In der Leonardskirche in Stuttgart fand die erste Vesperkirche 1995 statt, in der Thomaskirche 2008. Zweitens richtet sich die hiesige Vesperkirche nicht primär an Obdachlose, von denen es in Kirchheim ohnehin sehr wenige gibt. Sie ist für alle Menschen offen, die bei einem warmen Mittagessen anderen Menschen begegnen wollen. Von Schülern der Teck-Realschule über die alleinerziehende Mutter, die es genießt, einmal nicht für drei Kinder kochen zu müssen, bis zu der älteren Dame, die im Winter wenig Gelegenheit hat, aus dem Haus zu gehen, ist alles dabei. „Da bleibt kein Platz frei. Man sitzt zusammen und kommt ins Gespräch“, beschreibt Diakon Uli Häußermann den Charme der Vesperkirche.
Was nicht heißen soll, dass keine Bedürftigen in die Thomaskirche kämen. „Ich erkenne jedes Jahr viele unserer Klienten wieder“, sagt Ingrid Riedl von der Diakonischen Bezirksstelle. Allerdings fallen sie im bunten Gedränge nicht so auf. Die Mischung macht‘s. „Die Vesperkirche soll keine ‚Armen-Peepshow‘ sein“, sagt Dekanin Renate Kath. „Wir brauchen auch ‚Solidaresser‘“ – und das nicht nur, weil diese in der Lage seien, mehr als die geforderten 1,50 Euro für Essen, Kaffee und Kuchen zu bezahlen. In jeder Kirchengemeinde gebe es Kritiker, die bemängelten, dass viele Menschen in die Vesperkirche kämen, die das gar nicht nötig hätten. „Man weiß aber nicht, wie viel die für das Mittagessen geben oder vielleicht vorher schon gespendet haben“, sagt Kath.
Die Vesperkirche ist in jedem Jahr eine logistische Herausforderung. Rund 40 Ehrenamtliche geben jeden Tag Essen, Getränke, Kaffee und Kuchen für rund 280 Besucher aus, spülen, waschen Schürzen und betreuen die Kinder der Gäste, sagt Claudia Brendel vom Kreisdiakonieverband, die mit Uli Häußermann die Vesperkirche organisiert. Es gebe einen festen Stamm an Helfern, aber es kämen jedes Jahr neue hinzu. Die Ehrenamtlichen sind so bunt gemischt wie die Besucher selbst. „Wir haben 20 Schüler von der Teck-Realschule, die uns im Rahmen ihres Projekts ‚Soziales Engagement‘ unterstützen“, sagt Brendel. Auch Jugendliche aus dem Christlichen Jugenddorf (CJD) sind mit von der Partie. Bei den Ehrenamtlichen seien auch einige Klienten der Diakonischen Bezirksstelle dabei, sagt Ingrid Riedl. „Die sind froh, dass sie mal Gelegenheit haben, etwas zurückzugeben.“ Wer mithelfen will, ist willkommen – egal, wie viel er geben oder wie oft er mit anpacken kann. Die Bandbreite sei riesengroß, sagt Uli Häußermann. „Vom Ehrenamtlichen, der sich vielleicht einen Tag zutraut, bis zum Teamleiter ist alles dabei.“
Mit Ausnahme des Kuchens, der gespendet wird, wird das Essen nicht selbst zubereitet. Werktags kommt es vom Caterer Aramark, der den Technologiepark in Nabern mit Essen beliefert. An den beiden Samstagen sorgen die Neuapostolische Kirche und – zum letzten Mal – Metzger Oßwald dafür, dass die Mägen nicht leer bleiben. Sonntags kommt das Essen aus dem Kreiskrankenhaus Kirchheim.
Auch für geistliche Nahrung ist gesorgt. Morgens hält ein Pfarrer aus dem Kirchenbezirk einen kurzen Impuls für die Ehrenamtlichen. Um 13 Uhr wird das Essen unterbrochen für eine Andacht und ein gemeinsames Lied. Nach dem Essen können sich Besucher bei Bedarf über unterschiedliche Hilfsangebote in der Stadt informieren. Auch eine Liste mit allen Mittagstisch-Angeboten in Kirchheim liegt aus – für alle jene, die während der zweiwöchigen Vesperkirche Gefallen an gutem und günstigem Essen in Gemeinschaft gefunden haben.