Zwischen Neckar und Alb
Viele hoffen auf den Neuanfang

Bürgermeisterwahl In Aichtal steht die Mehrheit der Gemeinderäte hinter Bettina Schmidt. Deren Unterstützer üben offen Kritik am Amtsinhaber. Von Corinna Meinke

Überrascht reagiert haben Aichtaler Gemeinderäte auf das Ergebnis der Bürgermeisterwahl. Der von vielen erhoffte Neuanfang an der Verwaltungsspitze konnte mit dem Ergebnis vom Sonntag nicht eingeläutet werden, denn der Amtsinhaber Lorenz Kruß verteidigte seine Stellung, wenn auch mit einer lediglich hauchdünnen Mehrheit von 16 Stimmen. Ihm dicht auf den Fersen ist der Notfallsanitäter Sebastian Kurz aus Neckartailfingen.

Aber ausgerechnet die Kandidatin des Gemeinderats, die Reutlingerin Bettina Schmidt, ist bei der Wahl nur auf Platz drei gelandet. Sie hat zwar fast jede vierte Stimme der Bürger von Aichtal gewonnen - aber das war zu wenig, um vorne mitmischen zu können.

Die Unternehmensberaterin, die viele Gemeinderäte als erfahrene Macherin und starke Persönlichkeit beschreiben, musste Lokalmatador Kruß und Sebastian Kurz den Vortritt lassen, die sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen lieferten. Am Sonntag trennten ­Schmidt 480 Stimmen von Amtsinhaber ­Lorenz Kruß und 464 Stimmen von Herausforderer Sebastian Kurz.

Auf die Frage, ob sie sich bei der Neuwahl am 25. Oktober trotzdem noch Chancen ausrechne, erklärte Bettina Schmidt: „Wir werden uns jetzt über die richtige Strategie unterhalten.“ Sie wolle zunächst in aller Ruhe Gespräche mit den fünf Fraktionen führen. Im Moment sehe es so aus, als werde sie weitermachen.

Ihr Mitbewerber Sebastian Kurz möchte bis zum 25. Oktober noch viele Gespräche auf der Straße und am Gartenzaun suchen und auf den sozialen Kanälen präsent sein. Erste kommunalpolitische Erfahrungen sammelt der 35-Jährige in Neckartailfingen, wo er seit Mai 2019 im Gemeinderat sitzt.

Anzeige sorgt für Aufregung

Für Diskussionen in Aichtal hatte auch eine Anzeige in der Lokalzeitung gesorgt, die zwei Tage vor der Wahl erschienen war. Darin erklärten 41 Unterzeichner ihre Unterstützung für Bettina Schmidt. Das lese sich wie ein Misstrauensvotum gegenüber dem amtierenden Bürgermeister, hieß es daraufhin von mehreren Seiten.

Tatsächlich haben 14 von 18 Gemeinderäten diese Anzeige namentlich unterstützt, in der es heißt: „Bei der Bürgermeisterwahl am 4. Oktober wählen wir Bettina Schmidt. Wir sind davon überzeugt, Aichtal braucht dringend einen Neuanfang. Ideen und Projekte müssen endlich mit viel Führungs-, Projekt- und Veränderungs-Erfahrung umgesetzt werden. Dafür steht Bettina Schmidt.“

Es sei immer mehr Vertrauen zwischen dem Gemeinderat und dem Verwaltungschef Kruß verloren gegangen. Das habe sich mit der Zeit hochgeschaukelt und es gebe kein Miteinander mehr, so hatte Adalbert Bund von der Fraktion Liberale Bürger/FDP am Wahlabend das schwierige Verhältnis beklagt. Sein Fraktionskollege Marc Bubeck kritisierte, unter Bürgermeister Lorenz Kruß seien viele Dinge nicht bearbeitet oder nur verwaltet statt gestaltet worden. „Wir wollen unbedingt eine Veränderung“, erklärte der Geschäftsmann, der sich seit sechseinhalb Jahren zusammen mit seinen Mitstreitern im Gemeinderat ehrenamtlich für das Wohl der 10 000 Einwohner in Aichtal engagiert. „Wir brauchen jemanden, der über den Tellerrand schaut. Frau Schmidt hat Wirtschaftskompetenz und Führungserfahrung. Wir sehen bei ihr das größte Potenzial.“ Demgegenüber fehle es Sebastian Kurz noch an Erfahrung. „Eventuell ist er bei der nächsten Wahlperiode in acht Jahren so weit.“

Schlechte Noten erteilt auch Jürgen Steck vom Bündnis 90/Die Grünen dem amtierenden Bürgermeister. „Wir sind total unzufrieden mit dem mangelnden Respekt, den er den ehrenamtlichen Gemeinderäten entgegenbringt.“ Zudem dauerten Prozesse in der Kommune meist viel zu lange. Das Bremsen liege aber nicht am Gemeinderat, sondern der Bürgermeister wolle prüfen und abermals prüfen. Vieles sei liegen geblieben. „Das verstehen die Leute draußen aber nicht.“ „Viele beschäftigen sich nicht mit Kommunalpolitik. Sie haben dazu keinen Bezug“, vermutet auch ­Susanne Bubeck aus Aichtal.

Kruß verteidigt Kurs

Der Bürgermeister verteidigte seine Amtsführung und erklärte, enge finanzielle Spielräume der Stadt Aichtal machten bestimmte Entwicklungen schwierig. Dass Projekte, wie zum Beispiel das Mobilitätskonzept Aichtal 2030, die Lärmaktionsplanung und die Altenhilfeplanung, viel Zeit in Anspruch nehmen, sei der Tatsache geschuldet, dass es sich um stadtteilübergreifende Projekte handelt und „wir aus personellen Gründen leider nicht in der Lage sind, derartige Projekte zügiger durchzuziehen“.

In einer zweiten Amtszeit wolle er deutlich zulegen. Er sei schockiert gewesen, als er gesehen habe, dass besagte Anzeige von 14 Mitgliedern des Gemeinderats unterzeichnet war. Bisher hätten nur rund sechs Gemeinderäte ihre Unzufriedenheit und Kritik geäußert.