Dass Reiner Nußbaum nachts um drei aufstehen muss, um müde Menschen von Stuttgart nach Memmingen zu fahren, ist die Ausnahme. Aber kürzlich, während eines Streiks am Stuttgarter Flughafen, war das der Fall: Männer, Frauen und Kinder, die eigentlich um 6 Uhr im Flugzeug nach Mallorca sitzen wollten, mussten früher aufstehen, den Flugplatz wechseln und waren entsprechend aufgeregt. „Da wird viel gefragt, viele sind irritiert, weil sie nicht alle Änderungen verstanden haben“, sagt Nußbaum, der versuchte, die Gemüter zu beruhigen und gute Stimmung zu verbreiten. Das kann der Plochinger, der nicht so schnell aus der Ruhe zu bringen ist. Er ist Reisebusfahrer aus Leidenschaft – erst seit dem Ruhestand übt der 68-Jährige diese Tätigkeit im Nebenberuf aus.
Regelmäßige strenge Reaktions-, Seh- und Hörtests
Bis zum Renteneintritt hat Reiner Nußbaum im Nutzfahrzeugbereich bei Daimler als Abteilungsleiter gearbeitet. Dort konnte er schon in jungen Jahren die verschiedenen Führerscheine erwerben. „Mich haben Nutzfahrzeuge, besonders Lkw und Busse, immer fasziniert“, sagt er. „Und das Reisen sowieso.“ Sein Traum war immer, irgendwann mal „hobbymäßig“ Bus zu fahren, und so bot er, als er frisch in Rente war, der Firma Schlienz-Tours seine Dienste als gelegentlicher Fahrer an. Er wurde ohne Umschweife genommen, natürlich mit der erforderlichen Gesundheitsprüfung: Busfahrer müssen regelmäßig strenge Reaktions-, Seh- und Hörtests bestehen. Seitdem hat der Plochinger viel gesehen von der Welt. „Ich war eigentlich schon in allen Anrainerländern, von Norwegen bis Italien“, sagt er. Als Fahrer erlebt er nicht nur die Stadtrundfahrt in Paris oder Düsseldorf mit, sondern auch Werksführungen oder einen Rundgang in der KZ-Gedenkstätte Dachau. Und er nimmt freudig alles auf, was die Reiseführer bei mehrtägigen Ausflügen erzählen: „Das ist wie eine Bildungsreise.“ Das vielleicht Schönste seien aber die Ausflüge mit erwartungsvollen, fröhlich schnatternden Kindern.
Am Steuer der Reisebusse, bis zu 14 Meter lang und knapp vier Meter hoch, zulässiges Gesamtgewicht bis 26 Tonnen, fühlt sich der 68-Jährige pudelwohl. Gerade, weil er die Grenzen sieht: 100 Stundenkilometer sind das Limit, und als Größter und Schwerster muss man alle anderen im Blick haben. „Du musst immer noch rechtzeitig halten können, das musst du eisern einhalten“, sagt er. Damit sei Busfahren für ihn „entspannter als Autofahren“, sogar „fast beruhigend“.
Enge Gassen und alkoholisierte Fahrgäste sind Herausforderungen
Herausforderungen sind natürlich dabei: durch enge Straßen und Gassen zum Hotel fahren und rückwärts wieder raus. Verkehrsregeln und Vorschriften, die selbst in der EU in jedem Land unterschiedlich sind. Oder alkoholisierte Fahrgäste, die besonders bei „Fußballfahrten“ und Skiausfahrten ein Thema sind. Ein Busfahrer braucht nicht nur im Verkehr, sondern auch im menschlichen Miteinander die innere Ruhe. Nußbaum hat sie – dank Lebenserfahrung und positiver Grundeinstellung. Bislang konnte er sich auch noch immer Respekt verschaffen, wenn es nötig war.
Er schätzt sehr, „dass ich über die Fahrten mit so vielen Menschen zusammen und ins Gespräch komme“. So „erfährt“ er buchstäblich Meinungen und Blickwinkel, die ihm sonst verborgen blieben. Das ist auch für ihn als Kommunalpolitiker – seit vielen Jahren CDU-Stadtrat und Fraktionsvorsitzender – überaus spannend. Ganz ähnlich geht es ihm in der Begegnung mit den Kollegen bei der Firma Schlienz, von denen viele ihre Wurzeln in Osteuropa oder im Balkan haben. „Im Prinzip erhalten diese Leute unseren ÖPNV aufrecht“, sagt er anerkennend. Nußbaum ist immer offen zu hören, „wie ein Serbe denkt, oder ein Moldawier oder ein Kroate“. Das öffne den Blick in andere Welten – ganz im Sinne von einem, der „die Welt in der Realität kennenlernen möchte“.