In einem Klassenzimmer der Freihof-Realschule ist nach Schulschluss noch ungewöhnlich viel los: An den Tischen sitzen rund 15 Schülerinnen und Schüler der Realschule, des Ludwig-Uhland-Gymnasiums (LUG) und des Schlossgymnasiums, doch es haben sich auch ein paar Stargäste unter die Leute gemischt: Kirchheimer Gemeinderatsmitglied Giancarlo Crescente (CDU) sowie die Landtagsabgeordneten Andreas Kenner (SPD) und Andreas Schwarz (Grüne) nehmen sich an diesem Abend Zeit, um sich die Anliegen der jungen Kirchheimerinnen und Kirchheimer anzuhören.
Viele zeigen aus Spaß den Hitlergruß und machen rassistische Bemerkungen.
Kirchheimer Schüler
Bevor die Jugendlichen die Möglichkeit haben, sich zu ihren Bitten und Kritikpunkten zu äußern, erkundigt sich Andreas Schwarz zunächst einmal nach einem Stimmungsbild zur Landesjugendkonferenz, die im November zum ersten Mal in Stuttgart stattgefunden hat.
Von den Schülerinnen und Schülern, die an der Veranstaltung teilgenommen haben, bekommt das Format ein überwiegend positives Feedback. Es sei ein „langer, aber interessanter Tag“ gewesen, der „neue Einblicke geschaffen“ habe, resümiert eine Schülerin der Freihof-Realschule. Zu bemängeln haben die Jugendlichen lediglich das ausbaubedürftige Anmeldungsverfahren. „Schade“ findet die Nachhaltigkeits-AG des Schlossgymnasiums zudem, dass das Thema Nachhaltigkeit zu kurz gekommen sei und auch bei der nächsten Konferenz nicht auf der Agenda stehe.
Das ist jedoch nicht das einzige Anliegen der AG: „Wir kämpfen seit Jahren dafür, dass wir an der Schule einen Wasserspender kriegen.“ Was man anfangs für „keine große Sache“ gehalten habe, sei bedauerlicherweise deutlich komplizierter als gedacht. „Es ist seit quasi 10 Jahren nichts passiert“, berichtet eine Schülerin.
Mangelndes Technikverständnis bei Lehrkräften
Nachhaltigkeit ist auch am LUG ein Thema: So wünscht sich die Schülerschaft, dem Beispiel der beiden anderen anwesenden Schulen zu folgen und auf Ökopapier umzusteigen. Andreas Kenners Frage, ob die Schulen durch die Digitalisierung weniger Papier verbrauchen, verneinen die Jugendlichen. Zwar würden die Schülerinnen und Schüler in Kirchheim vermehrt mit Tablets arbeiten, das halte viele Lehrkräfte allerdings nicht davon ab, weiterhin fleißig für die ganze Klasse zu kopieren. Hinweise würden auf taube Ohren stoßen. „Dass einige Lehrer nicht so papiersparend sind, ist schwer zu beeinflussen“, schätzt ein Schüler des LUG. „Man kann aber beeinflussen, wie digital die Schule ist.“
In Sachen Digitalisierung haben die Jugendlichen jedenfalls einiges loszuwerden. Frustriert sind sie vor allem über das fehlende technische Verständnis der Lehrkräfte, das es schwierig mache, vorhandene Mittel zu nutzen. Ein Schüler der Realschule erinnert sich: „Einmal hat ein älterer Lehrer ein Blatt auf dem Kopf projiziert und wusste nicht, wie man es ändert. Dann mussten wir falschherum abschreiben, und er hat uns auch noch die Schuld dafür gegeben.“ Ein Lösungsansatz der Schülerschaft: Technik-Fortbildungen für das Lehrpersonal.
Ungerechtigkeit durch digitale Ausstattung
Zu den Kritikpunkten der Jugendlichen zählt auch, dass man jüngere Kinder in Sachen Digitalisierung zum Teil bevorzuge. Eine Schülerin, die ein Praktikum an einer Grundschule absolviert hat, berichtet von einer unglaublich digitalen Lernumgebung und ergänzt: „Wenn man dann ans LUG zurückkommt und gerade so einen funktionierenden Beamer hat, findet man es schon komisch, dass Sechsjährige bessere Technik haben.“
An der Freihof-Realschule werden iPads derweil nur an jüngere Klassen vergeben, „die es eigentlich weniger brauchen“, und auch zwischen den Schulen gebe es deutliche Unterschiede. Viele Jugendliche finden: Das ist nicht gerecht. Andreas Kenner verschafft ihnen Rückenwind, denn: „Gleiche Bedingungen sind wichtig.“ Es könne nicht sein, dass ein Schüler einen Startvorsprung habe, nur weil seine Gemeinde mehr Geld zur Verfügung habe.
Über eine Blitzumfrage erkundigt sich Andreas Schwarz, ob sich die Schülerschaft iPads für alle wünscht. Die Antwort ist ein einstimmiges „Ja“. Von einer Apple-Pflicht halte sie aber nichts, macht eine Schülerin deutlich: „Die Stadt soll kein Markenmonopol unterstützen.“
Wie man das finanzieren soll? Ein erster Schritt – da sind sich die Jugendlichen einig – sei jedenfalls, dass mehr von den zur Verfügung stehenden Geldern tatsächlich in die Schulen fließen statt etwa in ein Hallenbad. Damit, ergänzt eine Schülerin, könne man nicht nur die digitale Infrastruktur verbessern, sondern auch in bauliche Maßnahmen investieren.
Brennpunkt Toiletten
Doch den jungen Menschen brennt noch mehr auf der Seele. So äußert eine Schülerin des Schlossgymnasiums Frustration über ein „großes Problem mit Vandalismus“ – insbesondere in den Toiletten: Immer wieder gebe es Unruhestifter, die etwa Seifenspender ins Klo werfen, Feuerwerkskörper zünden oder Schmierereien, darunter auch Hakenkreuze, an der Wand hinterlassen. Das sei nicht nur völlig daneben, sondern resultiere auch in einer „unnötigen Geldverschwendung“ durch Renovationsarbeiten. Auch am LUG und dem Schlossgymnasium ist Vandalismus kein Fremdwort, wie Schüler berichten. Es sei sogar schon vorgekommen, dass Bremszüge an Fahrrädern durchtrennt worden seien. Das sei allerdings schon eine Weile her.
Die Parteivertreter zeigen sich entsetzt über diese Offenbarung. „Wir nehmen das äußerst ernst“, betont Andreas Schwarz. Besonders beunruhigen ihn die nationalsozialistischen Symbole: „In einer Zeit, in der wir Reichsbürger und Neonazis haben, schockiert mich das.“
Bessere Aufklärung ist nötig
Auf Giancarlo Crescentes Frage hin stellen die Jugendlichen klar, dass es sich bei den Kritzeleien eher um schlechte Witze als politische Statements handle. Diese „schlechten Witze“ seien aber keine Einzelfälle: „Es zeigen viele aus Spaß den Hitlergruß und machen rassistische Bemerkungen“, erzählt ein Schüler des LUG. „Der Holocaust wird oft verlächerlicht.“ Diese Menschen zu konfrontieren, wie Andreas Schwarz empfiehlt, habe nur einen geringfügigen Effekt.
Um der Ernsthaftigkeit des Themas Ausdruck zu verleihen, haben die Schülerinnen und Schüler unterschiedliche Vorschläge, wie etwa verpflichtende KZ-Besuche, ein Antirassismustag an allen Schulen, eine bildhaftere Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen oder mehr lokalen Bezug im Geschichtsunterricht. In einem ist sich die Schülerschaft allerdings einig: In Sachen Aufklärung wird noch nicht genug getan.

Zum Abschluss der Diskussionsrunde bedankt sich Andreas Schwarz bei den Schülerinnen und Schülern für diesen „fruchtbaren Austausch“. Er schlägt vor, im September noch einmal in dieser Konstellation zusammenzukommen. „Dann können wir gemeinsam sehen, was sich in der Zwischenzeit bei dem Wasserspender, dem Ökopapier, der digitalen Technik, den Tablets, den Lehrerfortbildungen, der Aufklärung und dem Vandalismusproblem getan hat.“
Eine gute Idee, finden die Schülerinnen und Schüler. Jetzt gibt es für die anwesenden Parteisprecher, Jugendlichen und Lehrkräfte aber erst einmal Pizza.