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Wann ist eine Landschaft schön?

Naturschutz Der Nürtinger Professor Michael Roth hat eine Deutschlandkarte der Schönheit entwickelt. Sie soll etwa bei Planungen von Energietrassen helfen. Dazu ist auch ein Film entstanden. Von Corinna Meinke

Kann es für die Schönheit der Landschaft Kriterien geben, die für alle gelten? Mit dieser Frage haben sich der Landschaftsplaner Michael Roth und sein Team beschäftigt. Roth lehrt an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen und hat im Auftrag des Bundesamts für Naturschutz eine bundesweit anwendbare Methode für die Bewertung des Landschaftsbildes entwickelt. Hintergrund ist der Netzausbau der Stromtrassen im Zuge der Energiewende. Ein Dokumentarfilm über das Projekt ist auch entstanden.

Seit mehr als 20 Jahren beschäftigt sich Roth mit Landschaftsbildern. Um eine „Karte der Schönheit“ zu erstellen, sind der Wissenschaftler und sein Team weit gereist, von den deutschen Küsten bis zu den Alpen. Dabei entstanden mehr als 10 000 Fotos. Mehr als 40 000 Bildbewertungen von bebautem und unbebautem Raum wurden analysiert und dazu 3500 Menschen in einer repräsentativen Stichprobe befragt. Ziel war, ein Modell zu entwickeln, mit dem subjektive Eindrücke zu objektiv und statistisch vergleichbaren Daten werden. „Die Schönheit einer Landschaft wird so quantifizierbar“, heißt es in einer Mitteilung der Hochschule. Die Bewertung könne damit in die Diskussion einfließen, die vor dem Hintergrund der Energiewende geführt werde – etwa wegen der oft kritisierten Verspargelung der Landschaft durch Windräder.

Nach Roths Erfahrung gelten vor allem Landschaften als schön, in denen Wasser eine Rolle spielt – ob als Bach, Fluss, See oder Küs­te. Nicht zuletzt die Evolutionsbiologie habe die hohe Attraktivität solcher Lebensräume für den Menschen nachgewiesen. Es liege auf der Hand, dass der Mensch seit Millionen Jahren Wasser für die Nahrungsaufnahme und für das Überleben brauche.

Natürliche Landschaften mit wenig technischer Infrastruktur werden laut Roth als schöner bewertet als solche, in denen Straßen, Windkraftanlagen, Strommasten und Deponien das Bild beherrschen. Auch kleinräumig strukturierte Landschaften wie beispielsweise die Schwäbische Alb mit ihren Tälern und Gipfeln, mit Wäldern, Äckern und Heide sowie den besonders während der Blüte attraktiven Streuobstwiesen erhalten deutlich bessere Werte als das dicht bebaute Neckar­tal oder die Filderebene. Außerdem punkte die Alb mit einer „hohen Reliefenergie“; damit sind die Höhenunterschiede gemeint, die attraktive Fernblicke bieten.

Bei seiner Arbeit wurde Roth drei Jahre lang von dem Dokumentarfilmer Marco Kugel begleitet, der Menschen zu Wort kommen lässt, die von politischen Entscheidungen betroffen sind und für ihre Landschaften kämpfen. Mithilfe von Roths Ergebnissen, die Kriterien für eine bundesweit vergleichende Landschaftsbildbewertung liefern, sollen landschaftliche Besonderheiten und Daten künftig in Planungsprozesse integriert werden können. Wie das im Detail auf Länder- und Kommunalebene ablaufen könnte, soll diskutiert werden, heißt es seitens des Bundesamtes für Naturschutz.

Weil der Ausbau der erneuerbaren Energien ein wesentlicher Baustein ist, um die Klimaschutzziele zu erreichen, muss der im Norden erzeugte Windstrom in den Süden transportiert werden. Solche Freileitungs- und Erdkabeltrassen stellen einen Eingriff in die unterschiedlichen Landschaftstypen und Naturräume dar. Bei der Planung gibt es eine gestufte Auswahl und Bewertung der vorgesehenen Leitungskorridore und -trassen. Bislang fehle für diese bundesweiten Stromnetz-Ausbauvorhaben aber eine belastbare und bundesweit anwendbare Methode für die Bewertung des Landschaftsbildes. Vor allem für die sogenannten Normallandschaften, die keiner Schutzkategorie auf Bundes-, Landes- oder Kommunalebene unterliegen, seien Entscheidungsgrundlagen jedoch wichtig.

Mit dem nun vorliegenden Ansatz des Nürtinger Professors liegt nach Einschätzung des Bundesamtes erstmals eine einheitliche Bewertungsmethode für das Landschaftsbild vor. Zusammen mit umfangreichen, fotobasierten Befragungen sei eine Alternative und Ergänzung zu den herkömmlichen, meist expertenbasierten Bewertungsverfahren entstanden. Nun sei es möglich, „das Landschaftserleben einer breiteren Bevölkerung zu ermitteln und daraus Präferenzen für die Akzeptanz von Ausbauvorhaben in Abhängigkeit der landschaftlichen Gegebenheiten abzuleiten“.

 

Berechnungen mit Landschaftsinformatik

Forscher Michael Roth ist seit 2013 Professor an der HfWU in Nürtingen, nachdem er in Dresden studiert und in Dortmund promoviert hat. Seine Forschungsschwerpunkte sind Landschaftsbild, Landschaftsbewertung und -planung, das geografische Informationssystem GIS und Partizipation. Lehr- und Forschungsaufenthalte führten ihn an die Michigan State University und die University of British Columbia. Die Berechnungen für das aktuelle Projekt erfolgten an rund 100 Workstationen der HfWU mit selbst entwickelten Programmen aus dem Bereich Landschaftsinformatik.

Film Der Dokumentarfilm „Die Karte der Schönheit“ von Marco Kugel ist in der ZDF-Mediathek abrufbar. Kugel ist freischaffender Regisseur, Autor und Kameramann. Er studierte Medienkunst und Film an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe. Seine Dokumentarfilme werden auf Festivals in Deutschland, Österreich und Frankreich präsentiert. com