Zwischen Neckar und Alb
War die Raserei auf der B 10 ein Flirt?

Prozess Wegen illegaler Autorennen hat das Esslinger Amtsgericht einen Mann zur Bewährung verurteilt. Kuriose Aussagen geben Einblick in die Szene. Von Simone Weiß

Erst kurz vor dem Erscheinen des Richters nahm der Angeklagte sein Basecap ab, während der Verhandlung vor dem Amtsgericht Esslingen wirkte er desinteressiert und ohne Schuldeinsicht. Dabei ging es um handfeste Vorwürfe. Denn der Vorsitzende Richter Florian Bollmann sah es als erwiesen an, dass sich der 1998 in Geislingen geborene Mann Anfang 2021 an illegalen Autorennen auf der B10 zwischen Göppingen und Esslingen beteiligt hat. Die Fahrerlaubnis war ihm zuvor entzogen worden.

Der Angeklagte wurde daher zu einer Haftstrafe von fünf Monaten und zwei Wochen auf Bewährung verurteilt. Außerdem darf ihm für die Dauer von zehn Monaten keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden und das während der unerlaubten Rennen benutzte Fahrzeug, eine Corvette im Wert von mehr als 43 000 Euro, wird zugunsten der Staatskasse einbehalten. Strafverschärfend wertete der Richter, dass der junge Mann 17 Eintragungen in das Fahreignungsregister habe. Nach dem illegalen Rennen sei er noch ein weiteres Mal beim Fahren ohne Führerschein erwischt worden.

Ein Flirt zu Nachtstunde

Vor der Urteilsverkündung hatte ein an den Rennen ebenfalls Beteiligter eine skurrile Aussage gemacht. Im Zeugenstand gab er an, er sei in Göppingen „ganz normal“ auf die B10 aufgefahren. Mit dem Angeklagten habe eine Absprache bestanden, dass sie gemeinsam nach Stuttgart fahren wollten. Auf der Bundesstraße seien er und sein Beifahrer in ihrem Dodge sowie der Angeklagte in seiner Corvette in Richtung Esslingen unterwegs gewesen. Von einem Beschleunigen, Sprints, Nebeneinanderfahren, plötzlichem Abbremsen und Gas geben oder gar einer Lichthupe als Signal für ein Rennen wollte er nichts wissen. Allerhöchstens sei die zulässige Geschwindigkeit von 120 um zehn Kilometer pro Stunde überschritten worden. Mehr aber nicht.

Auf der Gemarkung von Esslingen, so fuhr der Zeuge fort, sei die Corvette vor ihm und neben einem Chevrolet gefahren. Es sei ihm aufgefallen, dass am Steuer des Chevrolets eine „sehr attraktive Dame“ sitze. Der Angeklagte sei in seiner Corvette neben ihrem Auto hergefahren und habe die „Kommunikation“ gesucht: „Er wollte vielleicht ihre Handynummer oder ein Treffen in Esslingen mit ihr vereinbaren.“ Jedenfalls habe es auch in diesem Falle entgegen der Anklageschrift keine Rennen gegeben. Es habe viel eher nach einem Flirt ausgesehen. Auf der Höhe von Esslingen-Mettingen habe ihn dann ein Streifenwagen geschnitten und sei knapp an ihm vorbeigefahren. Zu dieser Zeugenaussage gab es Nachfragen.

Die Staatsanwaltschaft betonte, dass der Zeuge wegen des illegalen Autorennens in einem anderen Verfahren zu einer Strafe von 2000 Euro, einem Entzug der Fahrerlaubnis und der Einbehaltung seines Dodges verurteilt worden sei. Warum er denn das Urteil damals akzeptiert habe, wenn es gar keine Rennen gegeben hätte? Der Zeuge habe später Einspruch eingelegt, ergänzte der Richter, sei aber zum Prozesstermin nicht erschienen. Daher sei der Einspruch hinfällig geworden. Wie denn dieses Nichterscheinen zu erklären sei?

Seltsames Termingerangel

Der junge Mann führte eine lange Verkettung unglücklicher Umstände als Erklärung an. Durch persönliche Probleme, Stress im privaten Umfeld und einen Umzug sei er sehr in Anspruch genommen gewesen. Zudem habe sein damaliger Verteidiger ihm ein falsches Datum für den Prozesstermin genannt. Darum sei er nicht erschienen. „Diese Schilderung ist doch recht ungewöhnlich“, gab der Richter zu bedenken. „Ja, es klingt kurios“, räumte der Zeuge ein.

Ganz anders wurden die Vorfälle von einem Polizeibeamten geschildert. Er sei am Tatabend mit einer Kollegin in einem Zivilfahrzeug auf der B10 unterwegs gewesen. Da seien ihm auf Höhe der Ausfahrt Göppingen-Faurndau die Corvette und der Dodge wegen Beschleunigungen, plötzlichem Abbremsen, Nebeneinanderherfahren und Sprints aufgefallen. Einmal hätten beide Fahrzeuge ihr Tempo von 120 auf 55 Kilometern pro Stunde reduziert und nach ein, zwei Minuten gleichzeitig stark beschleunigt.

Zwischen Uhingen und Ebersbach habe er beide Autos aufgrund ihres hohen Tempos zunächst aus den Augen verloren. Erst nach einiger Zeit habe er sie wieder eingeholt. Später sei dann noch der Chevrolet mit der jungen Frau am Steuer hinzugekommen. Darum hätten sich aber die Kollegen des Polizeireviers Esslingen gekümmert. Er und die Kollegin in der Zivilstreife hätten den Dodge-Fahrer noch eine Zeit lang in Richtung Stuttgart verfolgt, aber nichts unternommen. Da sie zivil unterwegs gewesen seien, hätten sie keine polizeiliche Handhabe zum Eingreifen gehabt.

 

„Man muss den Tätern ihr Spielzeug wegnehmen“

Der Angeklagte, ein weiterer junger Mann und eine Frau sollen im Februar des vergangenen Jahres auf der B 10 illegale Autorennen ausgetragen haben. Eine Polizeistreife hatte den Angeklagten und die junge Frau auf der Höhe von Mettingen gestoppt. Die beiden anderen Beteiligten waren bereits in früheren Verfahren zu Geldbußen und Führerscheinentzug verurteilt worden und wurden in dem Prozess als Zeugen vernommen. Gegen den Angeklagten wurde nun das Urteil gesprochen. Er hatte gegen die Einziehung seines Fahrzeugs protestiert, weil es seinem Vater und nicht ihm gehöre. Dieser Argumentation folgte das Gericht aber nicht.

Die Staatsanwaltschaft forderte eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten und zwei Wochen, Führerscheinentzug und die Einziehung des Fahrzeugs: „Man muss den Tätern ihr Spielzeug wegnehmen.“ Solche Verhaltensweisen seien vielleicht auf dem Hockenheimring möglich, aber nicht auf einer öffentlichen Straße. Die Verteidigung plädierte auf Freispruch, denn der Charakter eines Rennens sei nicht gegeben. Die vermeintliche Rennstrecke habe nicht klar bezeichnet werden können, es habe keinen Sieger gegeben. sw