Zwischen Neckar und Alb
Was die Tälesbahn so besonders macht

Verkehr Tag für Tag pendeln die Triebwagen zwischen Neuffen und Nürtingen und sind dabei echte Sprinter. Sie schaffen dabei das lange Zeit für unmöglich gehaltene: den 30-Minuten-Takt. Von Kai Müller

Robin Giess hat alles im Griff. Er sitzt im Führerstand der Tälesbahn. Die letzte Fahrt an diesem Tag nach Nürtingen und wieder zurück zum Bahnhof nach Neuffen geht los. Giess war mal im Einzehandel tätig, bevor er als Quereinsteiger zur Württembergischen Eisenbahn-Gesellschaft (WEG) kam. Heute hilft er auf der Tälesbahn aus. Eigentlich steuert er die Fahrzeuge der Schönbuchbahn.

Auch wenn es nicht seine Heimatstrecke ist, Robin Giess kennt die neun Kilometer lange Strecke im Neuffener Tal bestens. Den Fahrplan mit genauen Instruktionen braucht er nicht. Dann muss es schnell gehen: Gerade einmal drei Minuten Wendezeit bleiben in Nürtingen: „Das ist schon knapp. Da ist es schwierig, Verspätungen wieder reinzuholen“, sagt Giess. Neulich hatte sich diese auf achteinhalb Minuten summiert, drei Runden seien nötig gewesen, um den Zeitverlust wieder auszugleichen.

An diesem Abend klappt alles wie am Schnürchen. Giess wechselt den Führerstand, führt die notwendigen Tests und die Bremsprobe aus und schon geht es wieder gen Neuffen. „Aus Nürtingen raus gilt erst einmal Tempo 40“, erklärt Giess. Er weiß genau, was auf welchem Streckenabschnitt zu tun ist. „Es wird aber auch alles genau aufgezeichnet, was ich mache“, sagt der Zugführer. Von wegen einfach mal auf die Tube drücken! Die vier auf der Tälesbahn eingesetzten Regio-Shuttle können 120 Kilometer pro Stunde schnell fahren, auf der Strecke gilt aber Tempo 80. Äußerlich nicht sichtbar steckt in den Wagen jede Menge Technik, die zum Beispiel bei einem ohnmächtigen Fahrer zu einer Zwangsbremsung führt. Wichtig zu wissen für die Fahrgäste: Zwar warten die Tälesbahnen auf den Zug aus Stuttgart, wenn sie im Stundentakt unterwegs sind. Sechs Minuten ist dann die Obergrenze. Bei der letzten Bahn sind es sogar zehn Minuten. Aufgrund der engen Zeiten im 30-Minuten-Takt ist da aber keine Wartezeit möglich.

Seit 2000 sind die Regio-Shuttle zwischen Nürtingen und Neuffen unterwegs. Die Anschaffungskosten pro Gefährt: 2,5 Millionen Euro. „Sie sind in einem guten Zustand. Wir gehen aber auch sehr pfleglich damit um“, sagt WEG-Standortleiter Hartmut Matschiner. Aktuell ist er für die Tälesbahn und den Busbetrieb auf der Strecke Lenningen-Schopfloch-Kirchheim zuständig. „Das kleine Unternehmen ist wie eine Familie“, sagt Matschiner. Passt gut zur Tälesbahn, die irgendwie auch eine Bahn der Herzen ist. Außer ihm gibt es vier Stammlokführer, vier Aushilfsfahrer, zwei Beschäftigte in der Werkstatt und eine 50-Prozent-Reinigungskraft. 3500 bis 4500 Fahrgäste nutzen täglich die Bahn. Matschiner kann viele Geschichten über die Tälesbahn erzählen, so zum Beispiel die Anekdote über die ältere Dame, die in Neuffen einsam in einem abgestellten Zug saß und sich wunderte, dass die Tälesbahn nicht losfuhr. Genau wie viele andere auch ärgert sich der Standortleiter, dass die Fahrpläne nicht mehr so gut mit anderen Verkehrspartnern abgestimmt sind: „Früher haben wir das zusammen erarbeitet. Wir haben immer die Schweiz als Vorbild, aber wir schaffen das nicht.“

Genauso sehr regt Matschiner auf, wenn an den Haltstellen oder auch in den Wagen sinnlos etwas zerstört wird: „Der Vandalismus hat leider zugenommen.“ Dabei schaut die WEG sehr auf ihre Fahrzeuge. Auch weil der Standortleiter weiß, dass es keinen Ersatz für die Regio-Shuttle gibt.

Frühaufsteher sind gefragt

Robin Giess ist derweil in Neuffen angekommen. Die letzten Fahrgäste steigen aus. Den größten Müll beseitigt er sofort, eine Reinigungskraft macht die Wagen sauber. Doch der Triebfahrzeugführer hat noch längst nicht Feierabend. Jetzt gilt es, die Fahrzeuge so zu rangieren, dass der Kollege am nächsten Morgen die Wagen wieder „aufrüsten“ kann, wie es im Eisenbahner-Jargon heißt. Eine Stunde dauert das, Dienstende ist um 22.15 Uhr. Gefahren wird im Dreischicht-System. Der Kollege am Morgen fängt um 3.10 Uhr an, die erste Bahn fährt um 4.29 Uhr ab Neuffen.

Nach einem Auspuffbrand ist ein Wagen derzeit nicht einsatzfähig. Unter Hochdruck wird derzeit in der Werkstatt daran gearbeitet, das Dieselfahrzeug wieder fit zu machen. Getankt wird übrigens immer zwischen 9.11 Uhr und 9.44 Uhr an der firmeneigenen Zapfsäule in Neuffen. 25 bis 30 Jahre halten die Fahrzeuge, schätzt Matschiner. Er ergänzt: „Früher war das deutlich länger, aber heute ist so viel Technik drin.“ Demnächst muss einer der vier Wagen wieder zur Hauptuntersuchung, die anderen werden folgen. Sechs Jahre, mit Verlängerung maximal acht Jahre, darf dann die Bahn wieder fahren. Und danach, wenn die aktuellen Fahrzeuge irgendwann ausgemustert werden müssen? Die Shuttle sind echte Sprinter und nicht mehr auf dem Markt. „Neue Bahnen haben sieben bis zehn Minuten Wendezeit, dann funktioniert ein 30-Minuten-Takt nicht mehr“, sagt Matschiner. Kommt dann die Elektrifizierung oder der Zweizugbetrieb mit dem Ausbau des Bahnhofs in Frickenhausen? Auf diese Fragen hat auch Matschiner keine Antwort.

Mittlerweile ist es 22.15 Uhr. Robin Giess hat seinen Räumungsnachweis ausgefüllt, damit der Kollege am nächsten Tag weiß, die Strecke ist frei. Ohne diesen Nachweis darf er nämlich nicht losfahren. Morgen sind sie dann wieder im Einsatz. „Die Tälesbahn gehört zum Neuffener Tal“, sagt Matschiner und da will ihm keiner widersprechen.