Die ersten Neugierigen sind schon gekommen, um zu spickeln. Noch ist das Heidengrabenzentrum nicht eröffnet, doch mancher drückt seine Nase schon an die großen Fenster. Zu sehen ist nicht nur ein Wagen mit Holzpfählen und Steinen, sondern auch eine großformatige Bildmontage. Auf dieser sind Kelten und die damalige Großsiedlung zu erkennen. Ebenso, wie man sich aus heutiger Sicht nach wissenschaftlichen Erkenntnissen das Leben damals vorstellt. Im Raum daneben stehen einige Stühle, Tische und die Eingangstheke.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat sein Kommen am 7. Juni zur offiziellen Eröffnung angekündigt. Dann beginnt nach zehn Jahren Planung und einer Bauzeit von zwei Jahren eine neue Zeitrechnung für den Heidengraben.
Auch für Jörg Bofinger wird dies ein spannender Moment sein. Der Referatsleiter beim Landesamt für Denkmalpflege untersucht seit mehreren Jahren gemeinsam mit Jörg Stegmaier von der Universität Tübingen die Spuren der Kelten nahe den drei Gemeinden Erkenbrechtsweiler, Hülben und Grabenstetten. Die Kommunen haben sich zum Zweckverband Region am Heidengraben zusammengeschlossen, um das keltische Erbe mehr ins Bewusstsein zu rücken. Der 56-Jährige und sein Mitstreiter haben bereits zahlreiche Publikationen zu diesem Thema verfasst. Bofinger war auch schon zwei Jahre Grabungsleiter beim keltischen Fürstensitz Heuneburg in Sigmaringen.

Der Archäologe ist gerade dabei, für den Sommer weitere Ausgrabungen am Heidengraben zu planen. „Mittlerweile liegen umfangreiche geomagnetische Messdaten für das Gebiet vor“, sagt Bofinger. Der Laie erkennt auf den grauen Flächen mit weißen Einsprengseln und kleinen schwarzen Punkten nicht viel. Für die Experten macht es die Suche nach archäologischen Fundstücken deutlich einfacher. Und was auf den ersten Blick völlig unscheinbar aussieht, ein weißer Fleck mit mehreren schwarzen Punkten, lässt Bofinger ins Schwärmen geraten: „Es ist ein Nachweis, dass schon in der späteren Bronzezeit dort eine Befestigungsanlage errichtet worden war.“ In den Löchern steckten einst Holzpfosten.
Collier aus Bronzezeit
In das Bild würde auch ein Bronzecollier passen, das im Jahr 1916 am Hang unterhalb der Burg Hohenneuffen gefunden wurde. „Es ist ein ungewöhnliches Stück aus der späten Bronzezeit“, sagt Bofinger. Womöglich reiche also die Besiedlung des Fleckens auf der Schwäbischen Alb noch viel weiter zurück als ursprünglich angenommen. Der Referatsleiter erhofft sich in den nächsten Jahren noch weitere Erkenntnisse. Schließlich warten noch einige Schätze im Untergrund.
Doch, auch das, was die Archäologen bis jetzt schon zutage gefördert haben, zeigt die Besonderheit des Ortes. Was immer noch bei manch einem für Erstaunen sorgt, ist die Tatsache, dass das Oppidum am Heidengraben die größte befestigte Siedlung der keltischen Zeit auf dem europäischen Festland ist. Das damalige Zentrum war die sogenannte Elsachstadt mit einer Fläche von 170 Hektar, die durch eine separate Mauer und einen doppelten Graben befestigt worden war. Noch viel beeindruckender ist aber die elf Kilometer lange Befestigungsanlage drumherum, die auf der Hochfläche angelegt wurde und ein 1800 Hektar großes Gebiet umfasst. Die aufgeschütteten Hügel sind mittlerweile begrünt, prägen aber die Landschaft bis heute. In der Nähe des Parkplatzes Bassgeige befindet sich das Tor G, eines von acht Toren, das den Zugang zur Keltenstadt regelte. Die Bewohner errichteten damals gewaltige Holz-Erde-Mauern, im Fachjargon Pfostenschlitzmauern genannt. Am Tor G wurden die Mauern teilrekonstruiert.
Wichtiger Handelsknotenpunkt
Bofinger und Stegmaier gehen davon aus, dass das Oppidum am Heidengraben mit samt der Befestigungsanlage um 130 vor Christus herum gegründet worden ist. Der Platz war gut gewählt: „Aufgrund seiner strategisch und verkehrsgeografisch günstigen Lage zwischen den beiden größten Flüssen Mitteleuropas, dem Rhein und der Donau, entwickelte sich der Heidengraben zu einem bedeutenden Handelsknotenpunkt der spätkeltischen Zeit“, schreiben Bofinger und Stegmaier in einer Publikation. Fruchtbare Böden, ein vergleichsweise günstiges Klima sowie ausreichend Wasser hätten den Bewohnern auf einer Höhe von rund 700 Metern das Überleben gesichert. „Das Oppidum hatte rund 30 Jahre Bestand, also eine Generation“, sagt Bofinger. „Es ist von einer systematischen Räumung der Siedlung auszugehen“, sagt der Archäologe. Das Schicksal teilt der Heidengraben mit anderen spätkeltischen Siedlungen in Deutschland. „Die genauen Gründe dafür sind unbekannt“, sagt Bofinger. Er und Stegmaier nehmen an, dass dies mit den Wanderungen der germanischen Kimbern und Teutonen zusammenhängt, denen sich keltische Stämme anschlossen.
Doch nicht nur das Oppidum ist bedeutend, schließlich konnte am Burrenhof ein Bestattungs- und Sakralplatz aus der Bronze- und Eisenzeit nachgewiesen werden. Vom 2. Jahrhundert vor Christus an habe das Gräberfeld möglicherweise „die Rolle eines ausgedehnten Ritual- und Versammlungsplatzes“ gespielt. Eine Opfergrube wurde 2014 und 2015 genauer untersucht. Diese war offenbar über einen längeren Zeitraum immer wieder aufgesucht worden. Stegmaier und Bofinger kommen zu dem Schluss, dass diese Besuche eine Zeitspanne von 1000 Jahren umfasst haben müssen. „In der Gesamtbetrachtung macht das den Burrenhof zu einem herausragenden Ort des kollektiven Erinnerns und Ahnengedenkens der mitteleuropäischen Eisenzeit“, lautet das Fazit.
Bofinger jedenfalls freut, dass der Heidengraben durch das Zentrum nun noch mal eine ganz andere Aufmerksamkeit erfährt. Auch wenn dort keine Exponate zu finden sein werden und die Geschichte der Heidengraben-Kelten interaktiv erzählt wird. „Es ist ein Schaufenster, das auch Akzeptanz für unsere Arbeit schafft“, sagt Bofinger.
Info
Die Eröffnung des Heidengrabenzentrums am Burrenhof wird am Wochenende, 8. und 9. Juni, mit einem großen Keltenfest gefeiert. Am Samstag von 10 bis 19 Uhr, am Sonntag von 10 bis 16 Uhr.