Erste-Hilfe-Leistungen
Was Menschen mit Beeinträchtigung im Notfall benötigen

Bei einem Workshop im Katastrophenschutz­zentrum Owen sind Betroffene zu Wort gekommen.

Wie trägt man jemanden im Notfall richtig? Immer sinnvoll ist Nachfragen. Foto: Sabine Ackermann

Es ist ein Thema, das alle angeht – und doch macht sich kaum jemand Gedanken darüber. Es geht um „Erste-Hilfe-Leistungen“ bei Menschen mit einer Behinderung, darunter auch Betroffene, deren Handicap insbesondere bei einem Notfall nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich ist. Ob professionell ausgebildeter Ersthelfer oder der Nachbar von nebenan, immer sollte man vorab die Frage nach „eventueller Beeinträchtigung“ stellen sowie auf „Kommunikation und Selbstständigkeit“ achten.

 

Man muss mich tragen wie einen Ohnmächtigen, ich habe fast keine Körperspannung.
Oli leidet seit seiner Geburt an an spinaler Muskelatrophie

 

„Was sollte ich im Umgang mit einem blinden Menschen und seinem Assistenzhund beachten?“, „Sind Rollstuhlfahrer wirklich hilflos und wie viel Hilfe ist zu viel?“ oder „Wie spreche ich mit einem gehörlosen Menschen?“ Das sind Fragen, die bei einem Workshop im Katastrophenzentrum Owen von Frauen und Männern mit ganz unterschiedlichen Beeinträchtigungen beantwortet wurden. „Blaulicht trifft Handicap“, die Idee zu diesem Workshop hatten der „Arbeitskreis Inklusion Netz“ mit Claudia Baumann und die Koordinationsstelle der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) im Landkreis, deren hauptamtliche Koordinatorin Tanja Baumann ist. Der Workshop soll Barrieren und Berührungsängste abbauen, gemeinsam sollen Lösungen für die Begegnung im Notfall gefunden und für den Einsatz von Hilfsmitteln erarbeitet werden.

„Man stellt immer wieder fest, dass von den verschiedenen Hilfsorganisationen jeder sein eigenes Ding macht – dabei wäre es besser, enger zusammenzuarbeiten“, bekräftigt Tanja Baumann und freut sich, dass fünf Betroffene gemeinsam mit den Ehrenamtlichen des DRK, der Feuerwehr sowie Notfallseelsorgern, wie etwa Pfarrerin Teresa Nieser und Pfarrer Chris­toph Schweizer, ihre Wünsche und Bedürfnisse ansprechen.

Oft mangelt es an Rücksicht

Es klingelt. Zeitmanagerin Beate achtet darauf, dass es nach 15 Minuten Austausch an den nächsten Tisch geht. Markus und Anita, beide sehen schlecht und haben eine Lernbehinderung, sind sich einig: „Viele Leute in der Stadt passen nicht auf. Nehmen keine Rücksicht, drängeln, wenn es ihnen nicht schnell genug geht, und schauen uns komisch oder abschätzend an.“ Während Anita sich darüber ärgert, denkt sich Markus lieber seinen Teil. „Die Gesellschaft wird immer ungnädiger“, stellt Pfarrer Christoph Schweizer fest.

„Man muss mich tragen wie einen Ohnmächtigen, ich habe fast keine Körperspannung“, klärt Oli auf, der seit seiner Geburt an spinaler Muskelatrophie leidet. Sein Assistent zeigt, wie es geht, und rät den Unwissenden: „Nicht reinrennen und schnappen, besser kurz fragen, ob er oder sie sich selber halten kann.“ Anita ist kleinwüchsig und wie ihre Tischnachbarin Bettina sehbehindert. Die beiden sind mit ihren Flat-Coated-Retrievern Odin und Silas da. „Hell und Dunkel, nichts Verwertbares“, beschreibt Anita ihre Sehkraft.

Petra mit Conterganschädigung und die hörbehinderte Christine reden offen und ehrlich darüber, was die Gesellschaft besser machen könnte. Oft sind es die alltäglichen Dinge, wenn zum Beispiel der DHL-Bote vor der Tür steht und nicht gleich schaltet oder man diskutieren muss, dass seit Juli 2021 zertifizierte Assistenzhunde in Bereiche mitgenommen werden dürfen, wo „normale“ Hunde draußen bleiben müssen. Eine Herausforderung war der Rollstuhl-Parcours in der Fahrzeughalle, bei dem sich alle Probanden insbesondere in den Kurven und der etwa zehn Zentimeter hohen Barriere schwertaten – spätestens da wurde klar, was Behinderung bedeutet.