Bürgerforum
„Wasserstoff ist Europas größte Chance“

Die Stadt Weilheim hat ihre Einwohner zu drei Vorträgen über die Zukunft des Wasserstoffs ins Rathausfoyer eingeladen. Die Experten standen danach für Gespräche zur Verfügung. 

Bürgermeister Johannes Züfle hat Nicholas Loughlan (Cellcentric), Volker Hasenberg (Daimler Trucks) und Isabell Knüttgen (Landesagentur E-Mobil BW) im Weilheimer Rathaus begrüßt.  Foto: Thomas Zapp

Knapp 100 Bürgerinnen und Bürger haben trotz hoher Temperaturen den Weg ins Rathaus-Foyer in Weilheim gefunden. Drinnen ist es zwar kühler als draußen, aber auch nicht richtig erfrischend. Cool genug ist das Thema „Wasserstoff“ anscheinend trotzdem, und die Expertin und zwei Experten geben sich redlich Mühe, die Materie anschaulich zu machen. Auch Bürgermeister Johannes Züfle hält sich in seiner Begrüßung kurz, obwohl er sicher viel zum Thema Wasserstoff, der Vision einer „Wasserstoffstadt Weilheim“ und noch viel mehr zum Thema Rosenloh erzählen könnte.
 

„Wir haben es in der Hand, morgen Wertschöpfung zu generieren.

Nicholas Loughlan, CTO von Cellcentric

 

Denn das gleichnamige Gewerbegebiet soll bis zum Ende des Jahrzehnts zur Heimat des „Klimawerks“ werden und dort Brennstoffzellen herstellen. 

Das betont auch Nicholas Loughlan, CTO des Brennstoffzellen-Joint-Ventures Cellcentric, und an diesem Abend Gast im Rathausfoyer. An den Absichten des Unternehmens, sich in Rosenloh niederzulassen, lässt er keinen Zweifel, auch wenn mit dem Bau noch nicht begonnen wurde und der Zeitplan verrutscht ist. Seine Message: Die Entscheidung für das Klimawerk ist da. „Sonst hätten wir uns nicht committet.“ Mit dem „Bekenntnis“ zum Standort spielt er auf den Optionsvertrag des Unternehmens mit der Stadt Weilheim an, mit dem es für 15 Millionen Euro eine Fläche reserviert hat. „Das habe ich auch noch nicht gemacht“, sagt der CTO.

„Wir wollen nicht woanders hingehen“, sagt Loughlan, der trotz seines schottischen Nachnamens ein waschechter Schwabe ist. Ihm sei es wichtig, dass der Fortschritt in der Region geschehe und die Wertschöpfung im Ländle passiere. Ein Besuch in China habe ihm außerdem gezeigt: „Wir müssen uns nicht in die Hose machen.“ Deutschlands sei weltweit führend in der Wasserstofftechnologie. Aber: Man dürfe den Fortschritt nicht wieder aus der Hand geben wie bei der Entwicklung der Batterie, die nun in anderen Ländern stattfinde, allen voran China mit einem Anteil von 75 Prozent. 

Beim Wasserstoff geht es vor allem um Infrastruktur, etwa von Rotterdam nach Baden-Württemberg. In China habe man die Entscheidung dafür schon getroffen und dort bereits Wasserstoff-Infrastrukturen geschaffen. Die brauche es auch in Europa. Die Zeit dafür sei jetzt, auch das Bewusstsein für die Chancen in der Politik zu verankern. Er verspricht künftig mehr Sichtbarkeit der Branche. „Wir müssen uns stets zu Wort melden und werden auch dazu unseren Beitrag leisten.“ In den kommenden Jahren müsse ein Tankstellennetz her, denn Loughlan ist überzeugt: „Wasserstoff ist Europas größte Chance – neben der KI.“ 

 

Der Technologie-Mix macht’s

Dass es Wasserstoff braucht, weil batterieelektrische Antriebe im Schwerlastverkehr alleine nicht ausreichen, erklärt Volker Hasenberg, bei Daimler Truck für die CO2-Strategie zuständig. Zu Beginn seines Vortrags zieht er einen Vergleich zur Photovoltaik: In den 90er Jahren hat Solarstrom in Deutschland zwei Mark pro Kilowattstunde gekostet. Heut seien es in Deutschland vier bis sechs Cent, in anderen Ländern mit mehr Sonne teilweise nur ein Cent.

 

„Wir unterschätzen die technologische Entwicklung.

Volker Hasenberg, C02-Stratege von Daimler Trucks setzt auf steigende Wirtschaftlichkeit von Wasserstoff. 

„Ich hätte damals gesagt, dass es billiger wird, aber nie gedacht, dass es so billig wird.“ Er hat dazu einen Zeitungsartikel aus dem Jahr 1992 mitgebracht, in dem sich kritisch mit der Photovoltaik als teurer Energiequelle auseinandergesetzt wird. Hasenberg will eine Parallele zum Wasserstoff ziehen: „Wir unterschätzen die technologische Entwicklung.“ 

Weltweit fließe das Geld ohnehin in erneuerbare Energien, das zeigt eine Grafik, die er mitgebracht hat. Eine andere Grafik belegt, dass der Strombedarf exponentiell steigen wird, nicht nur für Mobilität auf der Straße, sondern auch für die chemische Industrie, Flugverkehr oder Schiffsverkehr. Außerdem würde der Umstieg auf Elektromobilität im Lkw-Verkehr Folgen haben.

Aktuell gebe es in ganz Europa 600 Ladepunkte für Lkw. Wenn die Vorgaben für 2030 eingehalten werden soll, werde es 400.000 schwerelektrische Fahrzeuge auf dem Markt geben. Die werden einen riesigen Stromhunger haben. Diese Infrastruktur würde exorbitant teuer, denn jeder Stopp eines Fahrers würde bei den aktuellen Reichweiten von 500 bis 600 Kilometer auch einen Ladevorgang bedeuten. „Da kommen wir in Bereiche, die einen Anschluss an die Hochspannungsleitungen notwendig machen“, sagt er.

Deutlich kostengünstiger sei es, eine Parallelstruktur mit Wasserstoff aufzubauen, weil der aktuelle Prototyp von Daimler Truck schon mehr als 1000 Kilometer mit einer Füllung Wasserstoff schaffe. Das heiße: Nicht jeder Stopp wäre ein Tankstopp. Wenn man sich auf die Langstrecke und eine West-Ost- und Nord-Süd-Tangente durch Europa beschränkte, würden am Anfang 100 Tankstellen reichen.

Das ist zwar weniger, doch auch das muss erstmal erreicht werden: „Wir sind zum Erfolg verdammt.“ Hinzu komme noch ein Teil Diesel-Lkws und Wasserstoff-Verbrenner-Motoren als Übergangstechnologie. Viel zu tun, wenig Zeit. „Diese Transformation ist spannend.“

 

Notwendiger Baustein für die Dekarbonisierung

Bis 2030 sollen die CO2-Emissionen neuer Lkw in der EU um 45 Prozent im Vergleich zu 2019 reduziert werden. „Dann brauchen wir es, die Sanduhr ist umgedreht“, sagt Nicholas Loughlan. 

Rund 260 Unternehmen in Baden-Württemberg beschäftigen sich mit Brennstoffzellen, erklärt Isabell Knüttgen, Leiterin Wasserstofftechnologien bei der Landesagentur E-Mobil Baden-Württemberg.

In der Energieversorgung soll Wassserstoff künftig die Aufgabe haben, Strom und Wind resilient machen, so Knüttgen. Wasserstoff sei zudem ein wichtiger Baustein im Mobilitätsmix. „Wenn wir komplett dekarbonisieren wollen, brauchen wir auch Wasserstoff.“

Wichtig seien für die Transformation daher auch Veranstaltungen wie diese: „Das findet nur statt, wenn die Bevölkerung das gut findet.“

Die Gefahren von Wasserstoff seien nicht größer als bei Stoffen wie Benzin und Co., sagt sie auf Nachfrage aus dem Publikum. Nur der Umgang und die Vorsichtsmaßnahmen dafür seien anders. zap