Kirchheim. So hätten es sich die Südbadener vor gut 66 Jahren gewünscht: Eine Abstimmung in ihrer Hauptstadt Freiburg bewegt die Gemüter im gesamten Südwesten - auch wenn es jetzt „nur“ um eine OB-Wahl ging, bei der die Südbadener vermeiden wollten, Dieter Salomon in eine dritte Amtszeit zu schicken. Während die politischen Gegner - gerade in Baden-Württemberg, dem ersten und einzigen Bundesland mit einem grünen Ministerpräsidenten - erstmals wieder Morgenluft wittern, wollen die Grünen vor allem eines: den Eindruck vermeiden, dass Salomons Abwahl einen allgemeinen Negativ-Trend für die Grünen einleiten könnte.
Der Teckbote hat die Kirchheimer Landtagsabgeordneten sowie Oberbürgermeisterin Matt-Heidecker befragt, ob die Grünen zu kriseln beginnen. Haben sie ihren Zenit in Baden-Württemberg damit überschritten, oder hat die Freiburg-Wahl keine große Bedeutung, weil es nur um eine persönliche Abrechnung vieler Wähler mit Dieter Salomon ging?
Der CDU-Landtagsabgeordnete Karl Zimmermann beginnt mit einem Kalauer: „Von einer Götterdämmerung kann man nicht sprechen - er war ja kein Gott.“ Er bedauert, dass die CDU keinen eigenen Kandidaten hatte: „Sie hat aufs falsche Pferd gesetzt, auf Dieter Salomon.“ Und der habe seine besten Ergebnisse ausgerechnet in den CDU-Hochburgen eingefahren. Karl Zimmermann glaubt nicht, dass die Sache auf Freiburg beschränkt bleibt: „Er war der Vorzeige-OB der Grünen, neben Palmer. Und jetzt ist er der OB, der eine schallende Ohrfeige erhalten hat - in einer Großstadt, die nicht gerade wertkonservativ geprägt ist.“ Das Ergebnis werde auch Auswirkungen auf die Halbzeitbilanz der Landesregierung haben: „Die Ikone ist weg. Das trifft jetzt auch den größten Grünen, den Ministerpräsidenten. Der war unten beim Wahlkampf. Deshalb ist das jetzt auch eine Niederlage für ihn.“
Andreas Kenner (SPD) sieht dagegen die CDU in einer schlechten Position: „Man wundert sich schon, dass die nicht gespürt hat, dass es eine Wechselstimmung gibt. Wenn sie in einer Art Nibelungentreue an Dieter Salomon festhält, zählt jetzt auch die CDU in Freiburg zu den Verlierern.“ Andererseits sieht Andreas Kenner durchaus einen Trend, Amtsinhaber nach acht oder 16 Jahren wieder abzuwählen: „Egal, wie gut jemand seinen Job gemacht hat, irgendwas gibt es immer gegen ihn. Aber daraus ziehe ich keine Rückschlüsse auf Grün-Schwarz in Baden-Württemberg.“ Trotzdem handle es sich nach vielen Jahren um die erste empfindliche Niederlage für die Grünen: „Einen kleinen Dämpfer für die Gesamtgrünen kann man da schon sehen - aber keine Regierungskrise.“
Diese Einschätzung teilt er mit Andreas Schwarz, dem Fraktionsführer der Grünen im Landtag: „Das ist ein Stück Normalität. Vor wenigen Wochen gewinnt ein junger Stadtrat der Grünen gegen den Amtsinhaber in der Autostadt Böblingen. Und jetzt hat eben ein anderer junger Mann gegen den grünen Amtsinhaber in Freiburg gewonnen.“ Dieter Salomon habe in Freiburg große Fußstapfen hinterlassen, in die Martin Horn erst einmal hineinwachsen müsse. „OB-Wahlen sind Persönlichkeitswahlen“, sagt Andreas Schwarz. Mit dem Ministerpräsidenten habe das gar nichts zu tun: „Seine Beliebtheitswerte liegen zwischen 70 und 80 Prozent, und das ist durch die Wahl in Freiburg auch nicht gefährdet.“
Kirchheims Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker ist da ganz anderer Meinung: „Es ist verheerend, wenn sich der Ministerpräsident in den Wahlkampf einmischt. Das geht gar nicht. Da fehlt das Fingerspitzengefühl.“ Aber vielleicht habe Winfried Kretschmann seinem Parteifreund einen Bärendienst erwiesen - und sich selbst unter Umständen auch. „Eine Persönlichkeitswahl in einer einzelnen Stadt hat mit grüner Politik im Land zunächst nichts zu tun. Aber der Ministerpräsident hat die große Politik da selbst mit reingebracht.“ Ihren Freiburger Kollegen hält sie „für einen klugen Kopf, der viel für Freiburg geleistet hat, aber vielleicht nicht immer so gut bei der Bevölkerung angekommen ist“. Es sei auf jeden Fall hart für einen Amtsinhaber, so aus dem Amt gewählt zu werden - ganz unabhängig von der großen Politik.Andreas Volz