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Wem gehört das Brucker Hölzle?

Natur Der höchste Punkt im Landkreis Esslingen ist zugleich die höchste Erhebung in der Region Stuttgart. Aussicht bietet er nicht. Trotzdem beanspruchen ihn gleich zwei Kommunen für sich.

Auf dem höchsten Punkt des Brucker Hölzles. Rechts an der Buche ist die Markierung der Försterin zu sehen. Der Baum gehört der Gemeinde Bissingen - auf Lenninger Markung. Foto: Evelyn Scheer

Während andere Regionen gerne mit ihren landschaftlichen Superlativen touristisch auftrumpfen, kennt kaum jemand den höchsten Punkt im Landkreis Esslingen und sogar in der gesamten Region Stuttgart: Es ist das Brucker Hölzle, auch Bruckener Hölzle genannt, auf der Schwäbischen Alb, das sich bis auf eine Höhe von 830 Metern erhebt. Viel mehr als die Position und die Höhe ist dem Internet nicht zu entlocken. In der Literatur ist es ähnlich. „Ich habe in meinen Büchern zur Heimatkunde Esslingen, wenn überhaupt, nicht mehr als die Erwähnung als höchsten Punkt gefunden“, sagt Marco Drehmann, Leiter des Naturschutzzentrums Schopflocher Alb. Und selbst bei der Frage, auf wessen Gemeindegebiet der höchste Punkt liegt, gibt es Ungereimtheiten. Ob sich der Bissinger Ortsteil Ochsenwang oder der Lenninger Ortsteil Unterlenningen mit der höchsten Erhebung rühmen darf, ist eine kniffelige Sache.

Laut Landratsamt Esslingen liegt der höchste Punkt im Landkreis auf der Gemarkung Unterlenningen. Dies wird auf der Internetseite der Gemeinde Lenningen bestätigt, die ebenfalls das Brucker Hölzle mit 829,6 Metern als ihren höchsten Punkt angibt. Aber auch die Gemeinde Bissingen mit dem Ortsteil Ochsenwang gibt an, dass ihr höchster Punkt das Brucker Hölzle mit 830 Metern Höhe sei. Ein Indiz, das letzteres verifiziert, ist eine gelbe Markierung an einem Baum an der höchsten Stelle mit den Abkürzungen „Gde. B.“, was laut der zuständigen Försterin Julia Usenbenz für „Gemeinde Bissingen“ steht. Wer darf nun des Kreises höchste Erhebung für sich proklamieren? Es gibt kein Schild, keinen Pfahl oder eine andere erkennbare Markierung der Stelle.

Auf Openstreetmap, einem freien Kartendienst für weltweite Navigation, ist das Brucker Hölzle mit GPS-Daten markiert, die genau auf der Gemarkungsgrenze liegen. Vor Ort geprüft und mithilfe der Höhenmessung einer Smartwatch bestätigt, erhebt sich das Gelände jedoch etwa zehn Meter südlich davon bis zum höchsten Punkt. Damit wäre es klar Teil von Unterlenningen, sagt Marco Drehmann, der dafür eigens die Luftbilder in Photoshop überlagert hat, um eine Aussage treffen zu können. Licht ins Dunkel bringt das Vermessungsamt Esslingen. Der Vermessungsingenieur Benjamin Roth findet heraus, dass der höchste Punkt auf Unterlenninger Gemarkung liegt. Eigentümer des Flurstücks jedoch ist die Gemeinde Bissingen.

Manchmal gibt es eben doch mehrere Wahrheiten. Gipfelstürmer, die es sich zum Ziel gesetzt haben, die höchsten Punkte der Landkreise zu erwandern, werden vom Brucker Hölzle indes enttäuscht sein. Ein möglicher Ausgangspunkt ist der Parkplatz Rauberweide. Auf der Informationstafel am Wanderparkplatz ist das Brucker Hölzle eingezeichnet. Von hier sind es zu Fuß etwa 750 Meter bis zur höchsten Stelle. Zunächst führt ein Forstweg, der Frauenhauweg, leicht ansteigend bergauf. Ein Schild an einem Baum verweist auf das „Bruckener Hölzle“ der Gemeinde Bissingen. Weiter geht es bis zur Ansitzfläche, einer großen Waldlichtung, mit zwei Jägerständen. Zum höchsten Punkt führt jedoch kein Weg mehr, noch nicht einmal ein Pfad ist vorhanden. Die letzten Meter zum „Gipfel“ führen durch eine hohe Vegetation. Selbst der Hauptwanderweg des Schwäbischen Albvereins HW1 und der Premiumwanderweg „hochgehadelt“ führen nur unterhalb daran vorbei. Warum es keinen Abstecher zur am weitesten emporragenden Kuppe der Region gibt, erklärt Larissa Großberger, die für die prämierten Wandertouren „Hochgehberge“ zuständig ist: Das Brucker Hölzle bietet keinen Ausblick, ist eine Sackgasse und damit als Wegziel unattraktiv. Wer eine schöne Aussicht sucht, wandert besser zur nahe gelegenen Aussichtsbank mit Blick auf die drei Kaiserberge, rät Drehmann.

Auch wenn das Brucker Hölzle für Menschen nicht sehr attraktiv ist, Flora und Fauna fühlen sich an diesem Ort sichtlich wohl. Der höchste Punkt liegt in einem lichten Buchenwald mit üppiger Bodenflora und herumliegendem Totholz. Pflanzen wie Giersch oder Waldmeister gedeihen prächtig und bieten Lebensraum für zahlreiche Lebewesen von Schmetterlingen bis zum seltenen Alpenbock, einem prächtigen, himmelblau-schwarz gestreiften, bis knapp vier Zentimeter großen Käfer mit langen Fühlern. Der Alpenbock hat sehr spezielle Standortansprüche. Er bevorzugt einen sonnigen Platz in lichten Buchenhangwäldern, den er hier findet. Die Leibspeise der Larven ist totes Buchenholz. Diesen Lebensraum gibt es nicht mehr oft. Im gesamten EU-Gebiet gilt der Käfer als stark gefährdet. In Deutschland kommt der Alpenbock nur noch an wenigen Stellen auf der Schwäbischen Alb, im Donautal und in den Bayerischen Alpen vor.

Auffallend ist die Stille an diesem Ort, die lediglich vom Ruf eines Bussards unterbrochen wird. Neben dem Bussard leben hier noch andere Greifvögel, etwa der Rote Milan oder der Turmfalke, sagt der Leiter des Forstreviers Lenningen, Alexander Klein. Die Mischung aus Wald und Wiesen beschert der Gegend eine relativ hohe Wildtierdichte: Rehe, Wildschweine, Füchse, Dachse, Feldhasen und verschiedene Fledermausarten.