Es ist nun das dritte Semester in Folge, das ohne Präsenzsitzungen auskommen muss. Die Distanz zu Kommilitonen und das fehlende gemeinsame Lastentragen werden zur Herausforderung – und der Alltag immer zäher. Die Videoinputs kommen einem echten Austausch kaum gleich.
Die Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) berichtet von Startschwierigkeiten und einer Überforderung bei vielen Studierenden mit den digitalen Formaten. Außerdem sei besonders problematisch, dass nicht alle Lerninhalte übers Internet vermittelt werden können. „Wir haben Studiengänge, die vollständig von der Kommunikation und Interaktion leben“, sagt der Dekan der Fakultät Umwelt Gestaltung Therapie, Professor Dr. Roman Lenz. Digital kann das aus verschiedenen Gründen erschwert sein. Wenn die Internetverbindung zum Beispiel instabil ist, lässt man die Kamera auch mal aus und in der Gesprächsrunde sieht man sich nicht länger. Unmittelbar etwas zu einem Punkt einzuwerfen, ist kaum mehr möglich.
Physisch und psychisch müde
Tobias Constien studiert Theatertherapie an der HfWU. Er berichtet, dass viele Lehrmethoden auf gemeinsames Arbeiten ausgelegt sind: „Das fand eigentlich gar nicht statt im letzten Jahr“, resümiert er. Für viele Studiengänge seien Diskussionen nicht nur eine Grundlage, auch gebe es einige Fachrichtungen, in denen Präsenz für Exkursionen erforderlich sei. Auch Lea Schiebe äußert sich kritisch. Sie studiert Landschaftsplanung und Naturschutz an der HfWU. Sie kann nicht nachvollziehen, warum die Studenten selbst in kleinen Gruppen nicht ins Freie durften, obwohl ihr Studiengang vom Draußensein lebe. „Dadurch, dass man nun von früh bis spät alleine vor dem Computer sitzt, wird man physisch sowie auf Dauer auch psychisch müde“, kritisiert die Studentin, die nicht versteht, warum Großraumbüros weiterhin erlaubt waren – ihre Seminargruppen draußen aber nicht.
Als die Inzidenzzahlen sanken, wurde die Lehre in Reallaboren wieder unter strengen Bedingungen erlaubt. „Wenn es anders gekommen wäre, wären uns die planerischen Studiengänge weggekippt“, stellt Dekan Lenz fest.
Herausfordernd ist für die Studenten nicht nur der fehlende Kontakt zu Kommilitonen und Dozenten. Auch benennt die Hochschule Esslingen als wichtige Bestandteile des digitalen Lernens Zeitmanagement, Tagesstruktur und Motivation. Für praktische Tipps stellt die Hochschule ihren Studenten auf der Webseite Leitfäden zur Verfügung. Ansonsten stehen den lernwilligen Heranwachsenden aber auch die Studienberatung und Lerncoaches zur Seite.
Verheerend ist aus Sicht der HfWU ein digitales Semester für Studienanfänger. Nach der Schulzeit wagen sich viele Abiturienten in größere Städte – oft werden WG-Zimmer gesucht, Freundschaften geschlossen, Jobs gefunden und Verantwortung übernommen – kurz: ein neues Leben beginnt.
Kontakt zu Gleichaltrigen fehlt
Gerade dann ist der Kontakt zu Gleichaltrigen wichtig, mit denen man den Alltag bestreiten kann. Studienanfänger lernen sich zumeist bei Einführungsveranstaltungen oder Seminaren kennen, was digital kaum möglich ist. Die Erstsemester haben sich meist nur kurz gesehen, wie die Pressestelle der HfWU berichtet.
Die Bildungseinrichtungen versuchen mit Online-Tutorien Hilfeleistungen für die Neu-Studenten zu geben. Das sind kleinere Lerngruppen mit einem fortgeschritteneren Studenten, der Fragen beantworten und weiterhelfen kann.
Für die jungen Erwachsenen fing das Online-Studium als Übergangslösung an. Man solle bis auf Weiteres digital unterrichtet werden – hier und da konnten sie also Pendelwege und Benzingeld einsparen. Nachdem die Hochschulen im März vergangenen Jahres kurzfristig Alternativen für die Präsenzlehre suchen mussten, begann ein Semester in ständigem Wandel und Ungewissheit. Verschiedene Videokonferenzen wurden ausprobiert, nur um schließlich bei dem Anbieter zu landen, den man möglichst meiden wollte. Allen Bedenken zum Trotz musste es weitergehen.
Doch nicht nur die Lern- und Arbeitsbedingungen haben sich für die Studenten geändert – für die jungen Erwachsenen beinhaltet das Hochschuldasein vor allem auch soziale Aspekte. Nach einer Vorlesung zusammen Kaffee trinken zu gehen oder am Wochenende das Studentenleben zu genießen und tanzen zu gehen. Was im Online-Semester also bleibt sind die üblichen Aufgaben. Das bedeutet konkret Aufsätze zu schreiben und Aufgaben zu lösen – haben die Studierenden das früher in der Gruppe gemacht, stellen sie sich den Hürden heute allein. Uni ist nach Aussage der Interviewten weit mehr als Lernen. Es ist Leben lernen und verstehen, wie man mit anderen arbeiten kann und mit Menschen in Kontakt zu treten, die einen dazu motivieren weiter zu lernen.
Die Angehörigen der Hochschulen und die Studenten setzen jetzt alle Hoffnungen auf das Wintersemester – vielleicht ist das Schlafzimmer dann wieder privat.