Zwischen Neckar und Alb
Wenn das Stückle zur Spielwiese wird

Naturschutz Streuobstwiesen sind Lebensraum für Insekten, Bienen und Vögel. Manchem Stückle-Besitzer ist der Freizeitwert aber wichtiger, erst recht in der Corona-Krise. Wo hört der Wiesen-Spaß auf? Von Gaby Kiedaisch

Nicht erst seit den Einschränkungen durch den Lockdown zieht es die Menschen in die Natur. Schon seit geraumer Zeit werden Streuobstwiesen häufig für die Familienfreizeit genutzt. Über diesen Trend ist die Stadt Wendlingen nicht immer glücklich, vor allem wenn er im Landschaftsschutzgebiet gepflegt wird. Denn hier ist verboten, was dem Schutzzweck zuwiderläuft.

Laut dem Naturschützer und Hobbyornithologen Wilfried Schmid gibt es genügend Beispiele, bei denen die Besitzer sich nicht an Verordnungen halten - nicht nur in Wendlingen. Manches Stückle sehe nicht mehr wie eine Wiese aus, sondern wie eine Gartenanlage mit Rasenfläche, die wöchentlich gemäht wird. Andere Besitzer nutzen das Stückle offenkundig als Müll- und Lagerplatz. Und wieder andere verbringen dort ihre Freizeit, wobei es einige wenige gibt, die übers Ziel hinausschießen. Da werden Schaukeln und Hüpfburgen für die Kinder aufgestellt, Bau- und Wohnwagen geparkt oder Hütten zum Wochenendhäuschen ausgebaut. Auch Schwimmbecken und eine Sauna wurden auf einer Streuobstwiese gesichtet.

„Da läuft etwas gründlich schief“, sagt Wilfried Schmid, der für solche Ausreißer kein Verständnis aufbringen kann. Seine Sorge gilt den Insekten, Bienen und Vögeln. Steinkäuze haben sich rund um Wendlingen und Köngen wieder angesiedelt. Durch eine massive Freizeitnutzung der Streuobstwiesen würden sie in ihrem Brutverhalten erheblich gestört.

Beschwerden über solche Verstöße häuften sich in letzter Zeit, sagt Wendlingens Bürgermeister Steffen Weigel. Die Stadtverwaltung reagiere auf solche Beschwerden, indem sie Bußgelder verhänge. Manche kalkulierten dies aber bewusst ein und machten einfach weiter. Kein Verständnis hat er zum Beispiel, wenn Bäume gefällt werden ohne neue zu pflanzen. Das schreibt das Landschaftsschutzgesetz vor. Auch er ist der Meinung, dass ein Maß erreicht ist, über das man nicht einfach hinwegsehen kann.

Weigel schlägt einen Austausch mit anderen Bürgermeistern vor. Auch das Landratsamt müsse ins Boot geholt werden. Weigel plädiert für einen pragmatischen Umgang mit dem Thema. Nach der Arbeit auf dem Baumstückle müsse es erlaubt sein, sich hinzusetzen, etwas zu trinken und die Natur zu genießen. Wie er sehen auch andere, dass es nicht zu vermeiden sein wird, den Nutzen einer Obstwiese an die Lebenswirklichkeit anzugleichen. Und die könne nicht allein darin bestehen, ein Grundstück zu bewirtschaften. Auf der einen Seite werde beklagt, dass immer weniger Menschen bereit sind, Streuobstwiesen zu pflegen. Auf der anderen Seite müsse man denen, die ein verwahrlostes Stückle pachteten, auch etwas Entgegenkommen zeigen, wenn sie sich engagierten. Viele täten dies, weil sie in der eigenen Wohnung keinen Balkon oder Terrasse hätten und auf einem Wiesle für die Kinder einen Ausgleich suchten.

Auch Wilfried Schmid sieht die Problematik der Stücklesbesitzer, die heute am Obst kaum mehr etwas verdienten. Wenn man solche Entwicklungen bis zu einem gewissen Grad tolerieren wolle, dann müssten auch die Verordnungen geändert werden, meint Schmid. Allerdings dürfe der Natur- und Artenschutz nicht in den Hintergrund gedrängt werden.

In der Regel hielten sich Streuobstwiesenbesitzer an die Verordnungen, sagt die ehemalige Leiterin der Baurechtsbehörde beim Landratsamt Esslingen, Christina Werstein. Verstoßen Stückle-Besitzer gegen Verordnungen, sind die Verfahren meist langwierig, vor allem, wenn Betroffene Widerspruch bei Gericht einlegten. Wird eine Zwangsvollstreckung angeordnet, bei der der Wiesenbesitzer die betonierte Terrasse oder die gemauerte Hütte abreißen muss, kann sich auch das über längere Zeit hinziehen. Deshalb könne ein solches Verfahren gut und gerne drei bis vier Jahre dauern. Diese Zeit irritiere natürlich andere Wiesenbesitzer, die von den Verfahrensabläufen im Hintergrund in der Regel nichts mitbekämen. Die Außenwirkung sei dann: Die Behörde tut nichts. Andere Wiesenbesitzer stellten sich zudem die Frage, warum sie etwas abreißen sollten, wenn es der andere nicht müsse.