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Wenn der Verlust der Wohnung droht

Wohnungslosigkeit Mehr bezahlbare Wohnungen können die vier Projektträger von „TOP-ES“ nicht herbeizaubern. Aber sie können helfen und vermitteln, um die Kündigung der Wohnung abzuwenden. Von Peter Dietrich

Für das Projekt "TOP-ES" gegen Wohnungslosigkeit engagiert, von links: Eberhard Haußmann, Geschäftsführer des Kreisdiakonieverbands im Landkreis Esslingen, Janina Baaken, Geschäftsführung Heimstatt Esslingen e.V., Gunnar Mayer, Projektleiter des Projekts TOP-ES, Kreisdiakonieverband im Landkreis Esslingen und Reinhard Eberst, Leitung Diakonischer Grunddienst und Diakonische Bezirksstelle Kirchheim/ Teck

Von diesem Notfall erfuhr das Projekt „TOP-ES“ gegen Wohnungslosigkeit leider erst in der zweiten Mahnstufe: Drei Monate lang hatte der betroffene Familienvater seine Miete nicht mehr bezahlt. Er war arbeitslos geworden und so stark in Depressionen gefallen, dass er kein Arbeitslosengeld beantragt hatte. Nun sind seine Ersparnisse aufgebraucht. Aktuell kümmert sich das Projekt um die Mietschuldenübernahme durch das Landratsamt, durch die die Mietschulden in einen längerfristigen Kredit verwandelt werden. „TOP-ES“ nahm auch Kontakt mit dem Vermieter auf. Noch ist offen, ob er die Kündigung zurückzieht und der Familie noch eine Chance gibt. „Ich hoffe es“, sagt Reinhard Eberst, Leiter des Diakonischen Grunddienstes und der Diakonischen Bezirksstelle Kirchheim.

Für das kreisweite Projekt „TOP-ES“ haben sich vier Projektträger zusammengetan: Dies sind der Kreisdiakonieverband, Heimstatt Esslingen, die Evangelische Gesellschaft Stuttgart (eva) und der Kreisverband der Arbeiterwohlfahrt (AWO). Der Kreisdiakonieverband berät in Kirchheim, Plochingen und Umgebung, Heimstatt auf den Fildern, die eva in Esslingen, Nürtingen und Umgebung und die AWO kreisweit bei allen anerkannten Minderheiten.

Projekt läuft vier Jahre

Das Projekt wird vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales und vom „Europäischen Sozialfonds Plus“ gefördert. So schön das ist, so schwierig ist es auch: Die Abrechnungen auf europäischer Ebene sind extrem aufwendig, das Geld fließt erst nach Monaten. Doch Eberhard Haußmann, Geschäftsführer des Kreisdiakonieverbands, ist froh, dass das Projekt auf immerhin vier Jahre angelegt ist und bis zum 30. September 2026 läuft. So ein Angebot muss sich nämlich zuerst herumsprechen. Das hat sich im Landkreis Göppingen, wo es Vergleichbares gibt, gezeigt. Die Mitarbeiter hoffen, dass sich auch Vermieter melden, bevor sie zur Kündigung oder Räumungsklage schreiten. „TOP-ES“ hört sich beide Seiten an und steht als neutraler Mediator zur Seite. Manchmal wissen Familien nicht, was für finanzielle Hilfen ihnen zustehen, etwa beim Wohngeld oder Kinderzuschlag. Doch das kann entscheidend für den Erhalt der Wohnung sein. Das Projekt verweist Menschen nicht nur weiter, etwa zur Schuldnerberatung, indem es ihnen eine Telefonnummer gibt. Die Mitarbeiter begleiten bei Bedarf zum ersten Termin, machen Berater und Betroffene persönlich bekannt.   

Über das Landratsamt erfährt das Projekt, das über rund fünf Vollzeitstellen verfügt, von Räumungsklagen. Es geht auf Betroffene zu, besucht sie zu Hause, auch mehrmals. „Wir erreichen viele Leute gar nicht, weil sie bei der Arbeit sind“, sagt Gunnar Mayer, Projektleiter von „TOP-ES“. Weil die Lohnentwicklung den Mieten deutlich hinterherhinkt, haben auch Menschen in Arbeit massive Probleme.

Stand Ende Januar 2023 waren im Landkreis Esslingen 4715 Menschen wohnungslos oder von den Städten und Kommunen untergebracht, davon 1335 Kinder oder Jugendliche. Aus der Unterbringung heraus eine neue bezahlbare Wohnung zu finden, ist schwer. Viele würden deshalb in Lethargie verfallen, sagt Janina Baaken, Geschäftsführerin des Vereins Heimstatt Esslingen. „Man muss hingehen und klopfen. Wir fragen uns, woran es liegt, dass die Mietschulden entstanden sind.“

Wie soll ein Kind, so schlau und fleißig es auch ist, in sehr beengtem Wohnraum in Ruhe lernen? „Wir vergeben die Zukunft vieler junger Menschen“, sagt Haußmann. Er wünscht sich von der Politik nachhaltige Entscheidungen und eine starke Förderung des sozialen Wohnungsbaus. Ständig fielen Wohnungen aus der Sozialbindung heraus, aber es komme nichts nach. Er lobt, dass die Städte Kirchheim und Nürtingen nun in Eigenregie neuen bezahlbaren Wohnraum schaffen. „Wir brauchen das auch in Esslingen und auf den Fildern.“

Seit dem Projektstart konnte „TOP-ES“ bereits in über 200 Fällen helfen. Eberst berichtet von einer Frau mit einer kleinen Tochter. Vier Monate lang hat sie verzweifelt nach einer bezahlbaren Wohnung gesucht, wurde dabei von „TOP-ES“ unterstützt. Schließlich wurde sie dank einer Zeitungsanzeige fündig. Janina Baaken berichtet von einem Fall auf den Fildern: Ein junger Mann stand vor der Räumungsklage. Er war vom Jobcenter sanktioniert worden, die Miete wurde bei ihm nicht direkt überwiesen. „TOP-ES“ schaltete sich ein. „Die Vermieterin hat sich darauf eingelassen“, freut sich Baaken.