Gerade die Schwierigkeit, an Quellen über das Mietwohnen vor 600 Jahren auf dem Lande zu kommen, war für den Architekten Dr. Thomas Wenderoth der Anreiz, sich intensiv mit den sozialhistorischen Aspekten zu befassen. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Kompetenzzentrum für Denkmalwissenschaften und Denkmaltechnologien an der Universität Bamberg versprach er sich durch seine Nachforschung eindeutige Erkenntnisse über historische Mietverhältnisse. Er stieß während seiner detektivischen Suche in den Geschichtsbüchern und Archiven auf spannende Informationen, obwohl Nachweise und Belege nur spärlich vorhanden sind.
„Das ist unerforschtes Land“, stellte er während seines Vortrags im Freilichtmuseum Beuren fest. Die eigentumslose Schicht sei nie im Fokus der Historiker gestanden. Umso erfreulicher war für ihn daher jedes entdeckte Schriftstück, das auf irgendwelche Mietverhältnisse hinwies. „Der älteste Hinweis, dass Menschen schon vor gut 600 Jahren zur Miete wohnten, fand ich im Pfinzing-Atlas aus dem Jahr 1594.“ Paul Pfinzing erschuf das Werk und beschrieb darin das Nürnbergische Territorium.
Thomas Wenderoth stellte während seiner Nachforschungen fest, dass es in Baden-Württemberg noch weniger Aufzeichnungen über Mietverhältnisse gibt. Er vermutet, dass der Spruch „Schaffe, schaffe, Häusle baue“ dafür sorgt, dass es im Ländle kaum Quellen über das Mieten auf dem Land gibt. „Nur Hausherren, Lehnsherren und Fürsten wurden namentlich in den städtischen Archiven erfasst.“ Der Wissenschaftler fand bei der Suche nach Dokumenten eine Kopfsteuerliste. „Auf dieser sind Tagelöhner gelistet, damit auch von ihnen die Abgabe eingefordert werden konnte.“ Einen weiteren Hinweis auf Mietzahlung liefert die Huldigungsliste. Thomas Wenderoth erklärt deren Nutzen: „Wer Land von den Lehnsherren hatte, musste diesem huldigen, also Pacht zahlen. Der Lehnsherr beschützte den Grundbesitzer, der Mieter zahlte eine Schutzgebühr und erkaufte sich so die Staatsbürgerschaft.“ Der Architekt fand heraus, dass die Huldigungsliste vom späten 16. Jahrhundert bis ins späte 18. Jahrhundert geführt wurde.
Handwerker wohnten meist zur Miete
Die Mieter hießen damals nicht einfach Mieter, sondern unter anderem Hausgenosse, Bewohner oder Zinsleute. Vor allem Handwerker wie Schreiner, Bader oder Büttner wohnten meist zur Miete. Das Verhältnis der Mietwohnung zwischen Stadt und Land ist mit dem heutigen Stand vergleichbar. „Einzig nach dem 30-jährigen Krieg von 1618 bis 1648 gab es einen Knick, weil durch das Kriegsgeschehen enorme Bevölkerungsverluste verzeichnet wurden.“ In den größeren Orten und Städten sei der Mieteranteil bis ins 19. Jahrhundert bei gut 60 Prozent gelegen und habe auf dem Land zwischen 40 und 55 Prozent geschwankt. „Ab dem Jahr 1855 explodierte der Anteil der Mieter aufgrund der besseren Versorgungslage. Der Trend hielt 30 Jahre an.“
Als die Armutsjahre folgten, nahm die Zahl der Mieter rapide ab. Im 19. Jahrhundert begann die Ära der Auswanderung. „Wer sich im Land nicht mehr genügend ernähren konnte, wanderte aus.“ Die Industrialisierung sorgte für die weitere Abwanderung der Mieter vom Land in die Stadt. „Es gab früher keine Dreigenerationenhaushalte“, behauptet Thomas Wenderoth und präzisiert: „Die Höfe wurden meist übergeben oder wie in Baden-Württemberg häufig praktiziert, verteilt. Man konnte früher gar nicht drei Generationen auf einem Hof ernähren.“ Das änderte sich laut dem Wissenschaftler erst im späten 19. Jahrhundert: „Da konnten so viel Nahrung produziert werden, dass man auch mehrere Generationen ernähren konnte.“
Das auch auf Grund der niedrigen Mietpreise, wie Thomas Wenderoth herausfand: „Zwischen zwei und zehn Prozent des Bruttolohnes des Haupternährers mussten als Mietgebühr entrichtet werden.“ Obwohl der Mietanteil recht niedrig war, lebten die Menschen laut Wenderoth von der Hand in den Mund: „Es waren keine finanziellen Ressourcen vorhanden.“
Das Mietrecht für die durchschnittlich 40 Quadratmeter großen Wohnung war recht einfach gestrickt. „Es gab kein Mietende kurz vor dem Winter, das Verhältnis war aber trotzdem kündbar.“ Wer mieten wollte oder musste, hatte mit Einschränkungen zu kämpfen, wie Thomas Wenderoth bestätigt: „Es gab die Heiratsbeschränkung, bei der man beweisen musste, dass man eine Familie ernähren kann.“
Das Geschäft mit der Miete war von Anfang an lukrativ
Wer vermietet, kassiert einmal im Monat ein. Dieses Prinzip galt vor Jahrhunderten und war Anreiz für viele Grundbesitzer auf dem Land, Nebengebäude auf den Höfen zu Mietwohnung umzuwandeln. „Dabei wurden Scheunen und Ställe umgebaut. Oft wurde aus dem Futtergang eine Flurküche“, beschreibt Wissenschaftler Thomas Wenderoth den damaligen Boom bei Vermietungen.
Im 18. Jahrhundert gab es laut historischer Aufzeichnungen erste Mietskasernen, als Bauernhäuser hundertfach umgebaut wurden, um mehr Mitarbeitern auf den Höfen Stuben anzubieten.
Auch die größeren Ortschaften und Städte beteiligten sich am Immobilienmarkt, sagt Thomas Wenderoth: „1760 wurden laut geschichtlicher Quellen erstmals Mietwohnungen in repräsentative Bauten eingeplant.“ Dies sei Teil der städtebaulichen Inszenierung gewesen. Wie der Wissenschaftler erforschte, bestand das System des barocken Mietshauses bis weit ins 19. Jahrhundert. „Da drängten sich dann andere architektonische Bauweisen vor.“
Die Wohnungen und Stuben boten lange Zeit keinen Komfort. „Es gab weder sanitäre Installationen noch fließendes Wasser. Man lebte in einem Rohbau“, beschreibt Thomas Wenderoth die damalige Wohnsituation der Mieter. Es ging bei allen karg zu, obwohl die Mieten im Vergleich mit dem Gesamteinkommen der Familien recht gering waren. „Schon damals war Sparen für schlechte Zeiten angesagt. Die Menschen fürchteten sich vor Hungersnöten.“ kry