Umwelt
Wie ökologisch kann die Fußball-EM sein?

Das Turnier in Deutschland soll das nachhaltigste aller Zeiten werden. Die Sportwissenschaftlerin und gebürtige Notzingern Pamela Wicker warnt davor, bei einem solchen Großereignis nur auf die Kosten zu schauen.

Kirchheimer Fans verfolgen bei der WM 2018 ein Fußballspiel. Archivfoto: Markus Brändli

Klimatisierte Stadien, Flugreisen, Neubau von Hotels: In den vergangenen Jahren haben Sportereignisse wie die Fußball- oder Leichtathletik-WM in Katar Umweltschützer alarmiert. Nun wird die Europameisterschaft in Deutschland als nachhaltigste EM der Geschichte beworben. Die Sportwissenschaftlerin Pamela Wicker prüft mit einem Projektteam der Uni Bielefeld und der Deutschen Sporthochschule Köln, was an den Versprechungen dran ist.

Frau Wicker, kann ein derart riesiges Sportevent wie die EM nachhaltig sein?

Pamela Wicker: Unter ökologischen Gesichtspunkten wäre Sport natürlich am nachhaltigsten, wenn er gar nicht stattfindet. Aber dann säßen die Menschen noch mehr zu Hause vor dem Fernseher – das wollen wir auch nicht. Ja, bei einem Sportevent entstehen Emissionen, da Teams, Zuschauer und Funktionäre zu den Spielorten reisen müssen. Das Entscheidende ist, dass diese in einem akzeptablen Rahmen bleiben, etwa durch die Wahl der Unterkunftsorte und Verkehrsmittel. Und man muss unterscheiden zwischen ökologischer, sozialer und ökonomischer Nachhaltigkeit.

Was verstehen Sie darunter?

Wicker: Ein Bereich ist die Beschaffung von Bekleidung und Fanartikeln. Diese kommen ja oft aus Asien, was zwar kostengünstig, aber weder sozial noch ökologisch nachhaltig ist aufgrund der Arbeitsbedingungen in dortigen Fabriken und der langen Transportwege.

Auch unter ökonomischer Betrachtung kann eine EM kaum nachhaltig sein, oder? Recherchen von „ZDF“ und „Spiegel“ zufolge kostet die EM die deutschen Steuerzahler rund 650 Millionen Euro.

Eine EM kann nicht nichts kosten. Entscheidend ist, dass die Kosten vorab transparent kommuniziert werden sowie nicht nachträglich ausufern und die Steuerzahler diese Mehrkosten dann tragen müssen. Zudem darf die EM nicht nur dazu dienen, dass man die notwendigen Ausgaben mit Einnahmen aus dem Tourismus rechtfertigt.

Wie soll die EM sozial nachhaltig sein?

Das gemeinschaftliche Mitfiebern bei Sportereignissen kann zur kollektiven Identität und nationalen Identifikation beitragen sowie Einsamkeit lindern. Es ist eine Möglichkeit, einander zu begegnen und dabei eine kurze Pause von Politik, Kriegen und Krisen zu erleben. Wir untersuchen aber auch, ob Menschen durch die EM dazu inspiriert werden, selbst mehr Sport zu treiben. Oder ob sich der Bezug zu Europa verändert. Oder ob sie aufgrund der vielen Kampagnen ihre Einstellungen gegenüber nachhaltigem Verhalten ändern, vielleicht auch andere Verkehrsmittel zum Stadion jenseits des privaten Autos nutzen oder ein klimafreundliches Essen in einer Fanzone ausprobieren.

Ist eingefleischten Fußballfans die Nachhaltigkeit überhaupt wichtig?

Genau das wollen wir herausfinden durch Befragungen. Es besteht die Möglichkeit, dass viele Personen sagen, dass zunächst das sportliche Abschneiden unserer Nationalmannschaft wichtig ist, bevor man sich mit Nachhaltigkeit beschäftigen soll. Und dass die Reaktionen entsprechend ausfallen, wenn das deutsche Team früh ausscheidet.

Welchen Einfluss haben die Fans und welchen die Organisatoren?

Die Vertreter von Uefa, Uefa Euro und DFB sowie Fußballspieler und Politiker haben durchaus einen Einfluss. Problematisch wäre zum Beispiel, wenn dafür geworben wird, dass Fans mit der Bahn kommen sollen – und dann Fotos von Fußballern oder Politikern auftauchen, die Kurzstrecken wie von Stuttgart nach München mit dem Flugzeug zurücklegen. Auch ungeschickt wäre es, wenn die Fans ÖPNV fahren sollen, aber oben Genannte mit dem Auto anreisen. Das wäre keine gute Vorbildwirkung.

In der Vergangenheit haben sich Sportgroßereignisse nicht gerade durch Nachhaltigkeit hervorgetan. Warum sollte es diesmal besser klappen?

Bei der Leichtathletik-WM 2019 und der Fußball-WM, die beide in Katar stattfanden, wurden die Stadien auf 22 Grad klimatisiert, während es draußen über 30 Grad hatte. Zudem wurden fast alle Stadien neu gebaut, und eine ganze Stadt wurde hochgezogen. Bei der Fußball-EM 2020 war das „Problem“, dass die Spiele überall in Europa stattfanden, wodurch Fans und Spieler weit reisen mussten – auch viel mit dem Flugzeug. Das ist diesmal anders, weil die EM in einem Land stattfindet. Und durch die drei regionalen Cluster, in denen die Teams ihre Spiele in der Vorrunde austragen, sollen Reisen minimiert werden. Zudem gibt es vergünstigte Zugtickets und kostenlosen ÖPNV für Ticketinhaber.

Wovon hängt es also ab, ob diese EM zur nachhaltigsten aller Zeiten wird?

Nicht alles kann kontrolliert werden, aber es können Voraussetzungen geschaffen sowie Angebote gemacht werden. Entscheidend ist auch, welche Länder wie weit kommen. Wenn Niederlande oder Belgien im Viertel- oder Halbfinale spielen, ist es wahrscheinlicher, dass deren Fans mit der Bahn reisen, als wenn Länder weit kommen, die weiter weg von Deutschland liegen. Zudem geht es um kulturelle Werte. In manchen Ländern wird sehr viel Fahrrad gefahren, in anderen kaum. Je nachdem ist es wahrscheinlicher, dass deren Fans sich auch mal ein Leihrad nehmen.

 

Das Gespräch führte Julia Bosch.

 

Pamela Wicker ist Sportprofessorin und beschäftigt sich mit sportlichen Großereignissen und deren Nachhaltigkeit. Foto: pr

Zur Person

Pamela Wicker ist in Notzingen aufgewachsen. Sie studierte Sportwissenschaften an der Deutschen Sporthochschule in Köln, wo sie auch promovierte. Nach Stationen als wissenschaftliche Mitarbeiterin in Köln sowie als Senior Lecturer an der Griffith University (Australien) ist sie seit Mitte 2020 Professorin für Sportmanagement und Sportsoziologie an der Universität Bielefeld.
Gemeinsam mit Professor Breuer von der Deutschen Sporthochschule Köln leitet Pamela Wicker die Evaluationsstudie zur Nachhaltigkeit der Fußball-EM 2024. Pamela Wicker ist Fan und Mitglied des VfB Stuttgart. jub