Loriot hat mit Papa ante Portas einen genialen Film aus dieser Lebensphase gemacht, der Journalist, Buchautor und Theologe Andreas Malessa strickt daraus unterhaltsame Vorträge. Kein Wunder also, dass die Schlossscheuer in Weilheim zu seiner Veranstaltung „Mann, bin ich jetzt alt – 70 ist das neue 50“ nicht nur brechend voll war, sondern die Veranstalter vom Sozialen Netz sogar doppelt so viele Plätze hätten vergeben können. Das Interesse ist groß, denn das Rentenalter dauert immer länger: „Heutige 70-Jährige sind so fit wie 50-Jährige im Jahr 1980. Sie sind jüngere Alte als unsere Alten“, erklärt Malessa, mit 68 eigentlich auch schon im besten Rentenalter. Im Schnitt werden die Menschen heute 79 (Mann) beziehungsweise 83 (Frau) Jahre alt – 30 Jahre mehr als im Jahr 1920.
Erstes Ziel: Kreuzfahrt
Laut Malessa gibt es einen klassischen Ablauf nach der Pensionierung, je nach Budget: Im ersten Jahr wird gereist, am besten Kreuzfahrt. Im zweiten werden Dinge erledigt, die immer schon mal erledigt werden wollten: „Zum Beispiel Dias digitalisieren“, sagt Malessa trocken unter dem Gelächter des Publikums. Und im dritten Jahr? Schweigen, also nichts. Für Männer, die eine Führungsposition hatten oder deren Job im Wesentlichen am Telefon und in Konferenzen stattgefunden hat, ist der Übergang besonders hart, glaubt Malessa: Denn ihre Kompetenzen sind schlagartig nicht mehr gefragt. Da haben es pensionierte Handwerker besser.
Es gibt keine Dringlichkeit mehr, der Tagesablauf ist egal geworden, und das macht nicht nur etwas mit dem Mann: Es gibt da einen „komplementären Narzissmus“, erklärt der Profi. Auf die fragenden Gesichter im Publikum folgt die Auflösung: Sie – also die Ehefrau – fühlt sich auch weniger wert, wenn er nicht mehr mit dem Auto zum Termin braust, sondern in Jogginghose den Müll hinausbringt. Umgekehrt funktioniert das genauso, etwa wenn die Attraktivität schwindet, mit der die Frau an seiner Seite zuvor geglänzt hatte. „Wo bleibt der Selbstwert, wenn das Begehren geht?“, fragt Malessa.
Er beobachtet zudem eine Infantilisierung in Beziehungen, die er unter anderem aus Beobachtungen im ICE speist, etwa als ein Mann mit seiner Frau und deren Freundinnen eingestiegen ist und sie fragt: „Ist dir nicht warm in der Jacke?“ oder „Soll ich dir einen Apfel schälen?“ Ein klassischer Fall von Assistenz, die zur Entmündigung führt.
Gibt es ein Mittel gegen diesen Prozess? Der Autor empfiehlt Gelassenheit, vor allem beim Thema Sex: „Warum sollte genitale Sexualität ein Indikator für Liebe sein?“ Überhaupt empfiehlt er seinen Geschlechtsgenossen mehr Zurückhaltung, auch beim Thema Komplimente gegenüber jüngeren Frauen: Stichwort Me2. Mann hat es da nicht einfacher. „Beim SWR dürfen Sie weibliche Kolleginnen nicht mehr in die Garage begleiten“, sagt er, auch wenn er die Debatte über Übergriffigkeiten für richtig hält, aber: „Das Rechtsgut der Unschuldsvermutung ist beschädigt“, findet er.
Sein Appell richtet sich vor allem an die Männer: „Verlegen Sie Sexualität auf eine andere Ebene.“ Die Annäherungen passieren seltener im gemeinsamen Urlaub als im Alltag, die kleinen Gesten, Hilfe annehmen, Rücksicht nehmen, all das wird Erfolg bringen, ist er sich sicher. „Plötzlich gelingt es ihm auch mal, gut zu kochen.“ Und auch der Klassiker fehlt nicht: „Ehrenamtliches Engagement, aber auf der untersten Ebene: Backen Sie einen Blechkuchen.“ Und wenn man(n) sich zum Affen macht für die Enkelkinder, glaubt Malessa: „Zahlt das auf Ihr Liebeskonto ein.“
Am Ende wird er ernst: „Wenn Sie sich eine jüngere Geliebte nehmen, erleben Sie vielleicht ein paar Nächte Feuerwerk: Aber Sie crashen eine lebenslange Ehe und Zerstören ihr Verhältnis zu ihren Kindern. Das ist es nicht wert.“ Wie gut passte dazu ein Lied des sehr guten Musik-Duos Vocal Affair, das den Abend begleitet hat: You are my only one – Es gibt nur Dich – auch nach der Pensionierung.
Info Weitere Veranstaltungen der Reihe sind am Montag, 9. Oktober, „Auf dem Weg zur Gesellschaft eines langen Lebens“, „Altersmedizin – Möglichkeiten und Grenzen am Montag, 23. Oktober und „Damit die Liebe bleibt“ am Donnerstag, 9. November. Anmeldungen unter Telefon 0 70 23/ 43 30 77 oder info@soziales-netz-weilheim.de