Weilheim · Lenningen · Umland
Wie Blindenhund Silas seinem Frauchen neue Wege eröffnet

Freiheit Für Bettina Röck ist ihr Flat-Coated-Retriever Silas unersetzlich. Gemeinsam fahren sie Bahn, gehen einkaufen und sogar zum Arzt. Ohne den Hund wäre das nur schwer möglich, denn die Bruckenerin ist blind. Von Katharina Daiss

Such Treppe auf“, sagt Bettina Röck leise. Der junge Flat-Coated-Retriever-Rüde Silas läuft ruhigen Schrittes und strebsam zu der Treppe am Bruckener Bahnhof. Vor der ersten Stufe bleibt Silas stehen und legt seine große, schwarze Pfote auf die erste Stufe. Glücklich krault und lobt Bettina Röck ihren Hund, zur Belohnung gibt es eine Wurst – Silas hat seine Arbeit gut gemacht. Routiniert steigt Bettina Röck die Stufen empor. Auf dem Bahnsteig angekommen geht das Duo bis zu der weißen, geriffelten Linie. Dort warten sie auf den Zug, der sie nach Kirchheim bringt.

Ohne Silas wäre die kleine Reise für Bettina Röck weit unsicherer und weniger komfortabel. Denn Silas ist ein Blindenführhund und führt die Bruckenerin durch eine Welt, die sie nahezu gar nicht mehr sehen kann. Bettina Röck hat eine Retinitis pigmentosa. Mittlerweile kann sie Bhöchstens noch Hell und Dunkel wahrnehmen.

 

Ich habe ein Freiheitsgefühl wie wenn ich sehend wäre.
Bettina Röck
über den Unterschied, den der Blindenführhund Silas in ihrem Leben macht.
 
 

Übrigens: Silas hätte mit Bettina Röck niemals die weiße Linie am Bahnsteig überquert. „Das nennt man Ungehorsame Verweigerung“, sagt sie und erklärt, dass ein Blindenführhund stehen bleiben muss, wenn das Weitergehen eine Gefahr für seinen Menschen bedeuten würde – selbst wenn Bettina Röck den dreijährigen Rüden auffordert, weiterzugehen. Denn würde Silas sein Frauchen über die weiße Linie hinaus gehen lassen, könnte sie auf die Gleise stürzen.

Im Zug soll der große Hund Bettina Röck anzeigen, wo noch ein Platz frei ist. Doch das klappt nicht immer: „Manchmal sitzt auf dem Platz schon jemand, dann taste ich mich voran und fasse plötzlich auf ein fremdes Bein“, erzählt sie. „Vielleicht will er mich ja verkuppeln“, scherzt die Mutter einer 19-Jährigen.

Dass Silas – wenn er nicht gerade Armor spielen möchte – freie Plätze anzeigen kann und sogar vor Hindernissen warnt, die nur sein Frauchen betreffen, wie beispielsweise Äste, die auf der Gesichtshöhe der Bruckenerin in den Weg ragen, macht ihn unentbehrlich für die blinde Frau. Und er übertrifft die Möglichkeiten eines Blindenstocks bei weitem. Dass das sogar lebensrettend sein kann, musste Bettina Röck vor einiger Zeit feststellen, als sie mit Silas eine vermeintlich freie Straße überqueren wollte. Mit einem Mal ließ der große Hund Bettina Röck keinen Schritt mehr weiter – und nur einen Moment später raste auch schon ein Auto an ihnen vorbei. „Mit dem Stock hätte ich das Auto ja gar nicht bemerken können“, sagt Bettina Röck.

Alles in allem beherrscht der freundliche Rüde mit dem ruhigen Gemüt 40 Kommandos – und bedeutet einen unglaublichen Unterschied in Bettina Röcks Leben: „Ich habe ein Freiheitsgefühl wie wenn ich sehend wäre. Ich kann selbstständig in die Stadt oder ins Nanzcenter, ohne dass ich jemanden brauche. Der Führhund macht das Leben schöner, weil man selbstständiger ist und das Freiheitsgefühl größer ist als mit dem Stecken.“

Trainieren müssen Bettina Röck und Silas noch die Ruhe, wenn andere Hunde sich dem Rüden gegenüber drohend gebärden. Nicht etwa, weil der große Hund auf die Provokationen eingehen würde, sondern weil Silas vor einiger Zeit von einem Hund gebissen wurde, als Bettina Röck mit ihm unterwegs war. Weil Silas „im Dienst“ war, ließ er die Attacke ohne Gegenwehr über sich ergehen. Bettina Röck versuchte, ihren Silas mit dem Blindenstock zu verteidigen, doch den Angreifer konnte sie nicht ausreichend sehen. Seitdem wird der freundliche Hund unsicher, wenn ihm bei der Arbeit andere Hunde nicht wohlgesonnen begegnen.

Bettina Röck wünscht sich, dass Hundehalter ihre Vierbeiner nicht zu Silas lassen, wenn er sie führt. Unabhängig davon, ob die Hunde nur spielen wollen oder anderes im Sinn haben. Denn diese Begegnungen bedeutet Ablenkung für das Duo – und das kann für die Bruckenerin gefährlich werden. „Er ist dann nicht mehr konzentriert und lässt mich beispielsweise gegen einen Pfosten laufen.“

Im beschaulichen Brucken passiert das zwar weitaus seltener, doch der junge Hund ist viel lieber in der Stadt unterwegs. „Da ist einfach mehr Action und er mag die Herausforderung, wenn beispielsweise die Kinder mit dem Cityroller durchfahren, da muss er sich mehr konzentrieren. Auf dem Land ist das unspektakulär – und es geht ihm auch drum, Leckerle abzustauben“, berichtet Bettina Röck. Zwischen Engstellen durchschlängeln, Passanten ausweichen und im Trubel die Übersicht behalten – das gefällt Silas sehr. Auch daran merkt man, wie gerne er seiner Arbeit als Blindenführhund nachgeht.

Doch auch die Freizeit darf nicht zu kurz kommen. Dann, wenn ihm sein weißes Geschirr mit der Halterung – ein Zeichen dafür, dass er arbeitet – ausgezogen wird und sogar die Leine fällt, wetzt er über Wege und Wiesen, tobt sich aus und entspannt. Auch im Haushalt ist Bettina Röck nicht auf die Unterstützung des Vierbeiners angewiesen. „Zu Hause ist er einfach nur wie jeder andere Hund“, sagt sie, während sich Silas im Wohnzimmer mit einem wohligen brummen auf den Boden legt.

 

Ein Blindenführhund muss sich konzentrieren dürfen

Es ist ein absolutes No-Go, einen Blindenführhund zu streicheln oder zu rufen, wenn er gerade eine blinde Person führt. Lässt sich der Führhund ablenken, besteht akute Gefahr für die blinde Person. Grundsätzlich sollte man vorher fragen, ob der Hund gestreichelt werden darf, denn nicht alle Hunde lassen sich gern von Fremden anfassen.

Auch der eigene Hund sollte nicht ungefragt zum Führhund gelassen werden. Zum einen besteht das Risiko der Ablenkung, zum anderen verstehen sich Hunde untereinander nicht immer gut. Vor allem zwischen zwei Rüden kann schnell ein Streit entstehen. Darum gilt: Den eigenen Hund an die kurze Leine nehmen und etwas Abstand halten.

Ob sich ein Blindenführhund im Arbeits- oder im Freizeitmodus befindet, erkennt man an seinem „Outfit“. Trägt er das weiße Führgeschirr mit Bügel, darf er nicht angesprochen oder abgelenkt werden. Trägt er beispielsweise eine orangene Decke mit dem blauen Schriftzug „Blindenführhund in Freizeit“, kann man mit dem Hund in Kontakt treten.

Laut dem Assistenzhundegesetz dürfen Blindenführhunde ihre Halterinnen und Halter auch in Supermärkte und oft sogar zum Arzt begleiten. Laut Paragraph 12e im Behindertengleichstellungsgesetz dürfen diese speziell ausgebildeten Hunde ihre Menschen – verkürzt erklärt – in Gebäude und Einrichtungen begleiten, in denen Straßenschuhe erlaubt sind, erklärt Bettina Röck. kd