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Wie der Kapitalismus gerechter wird

Vortrag Anhänger der „Gemeinwohlökonomie“ wollen neue Werte in der Marktwirtschaft etablieren, sie aber nicht abschaffen. Ein Berater und ein Bauunternehmer haben das Konzept in Kirchheim vorgestellt. Von Thomas Zapp

In der klassischen Wirtschaftstheorie ist das Bestreben Gewinnmaximierung das erklärte Ziel jedes Unternehmens, das mit der Nutzenmaximierung der Konsumenten eine Art Gleichgewicht bildet. Doch die Vertreter der so genannten „Gemeinwohlökonomie“ wie Josef Rother wollen den Menschen bewusst machen, dass Gewinnmaximierung auch Kosten verursacht, die in keinen Bilanzen auftauchen, etwa Umweltverschmutzung, ein hoher C02-Ausstoß oder schlechte Arbeitsverhältnisse.

„Erfolg ist mehr als fiskalische Kennziffern“, erklärte Josef Rother den rund 70 Unternehmerinnen und Unternehmern sowie Vertretern von Kommunen im Kirchheimer „Con4Rent“. Mit seiner Beraterfirma Gefak hilft Rother Unternehmen und Institutionen, Gemeinwohlbilanzen zu erstellen, in denen nicht nur Kosten für die Umwelt wie CO2-Ausstoß sondern auch soziale Kosten auftauchen, wie ausbeuterische Arbeitsverhältnisse bei Lieferanten. Das Ziel dabei:
 

Wenn wir so weitermachen, richten wir die Welt zugrunde.
Gunnar Laufer-Stark
Geschäftsführer der Nestbau AG über seine Motivation, bei der GFÖ mitzumachen.
 

Diese Punkte zu erfassen und zu verbessern. „Eine Marktwirtschaft, die ökologisch und sozial ausgerichtet ist“, will Rother mit seiner Beratung nach eigenen Angaben mitgestalten.  Denn zur Ehrlichkeit mit sich selbst gehört es in der GWÖ auch, die kompletten Lieferketten in die Bilanz mit einzubeziehen. 

Rother, der aus einer katholischen Kölner Familie stammt, bemüht nicht von ungefähr die sieben Todsünden und stellt die Frage, warum es akzeptiert wird, dass Unternehmen „sündigen“, indem sie das Klima zerstören (Ölkonzern Exxon), Preisdumping betreiben („Geiz ist geil“) oder trotz Gewinnen Menschen entlassen (Deutsche Bank), warum wirtschaftliche „Werte“ wie Konkurrenz und Egoismus den Idealen des Privatlebens wie Vertrauen und Solidarität so stark entgegenstehen.

Daher will die GWÖ dieses Werteungleichgewicht beseitigen, indem sie neue Werte für die Wirtschaft etabliert. Das Bruttoinlandsprodukt sei kein ausreichender Wohlstandsindikator, sagt Rother. „Ein Verkehrsunfall ist gut fürs BIP, aber nicht für das Gemeinwohl.“ Er wolle aber ausdrücklich weder eine Revolution noch den Kapitalismus abschaffen, sagt Rother auf Nachfrage aus dem Publikum. „Wir wollen eine Rückbesinnung Verfassungswerte, in der die Wirtschaft der Bevölkerung dient. Wir wollen einen Kapitalismus der nicht schadet.“

Eine große Herausforderung gibt es aktuell aber noch für die GWÖ-Pioniere: Die Bilanzierung ist aufwändig, 200 bis 300 Arbeitsstunden jährlich, kalkuliert Gunnar Laufer-Stark, Geschäftsführer der Nestbau, in dessen Gebäude sich der Konferenzraum für diesen Abend befindet. Sein Unternehmen erstellt bereits GWÖ-Bilanzen. Doch diese verursachen erstmal Kosten, ohne einen direkten wirtschaftlichen Gegenwert zu schaffen. „Wir brauchen ein Anreizsystem für diese Unternehmen“, sagt Rother. Hier käme der Staat ins Spiel, mit Steuervergünstigungen oder Bevorzugung bei öffentlichen Aufträgen. Die spanische Provinz Valencia praktiziere das bereits, sagt Rother und auch im bayerischen Dachau werde bei Ausschreibungen eine GWÖ-Bilanz gefordert.

Attraktiv für Arbeitskräfte

Aber schon jetzt bringe es den Unternehmen etwas, eine GWÖ-Bilanz zu erstellen. Es mache sie attraktiv für junge Arbeitskräfte, die zunehmend einen Sinn in ihrer Arbeit erkennen wollen. Es motiviere auch die Mitarbeiter, ergänzt Gunnar Laufer-Stark und helfe ihnen, sich auf das Unternehmensziel zu fokussieren, das in seinem Fall laute: Bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. „Sie verschaffen sich einen anderen Blick auf ihr Unternehmen“, antwortet er auf Nachfrage eines Zuhörers, was die GFÖ bringe. Wenn man sich etwa frage, ob die Bezahlung der Mitarbeiter gerecht sei. „Es gibt ein gutes Gefühl, wenn man die Leute nicht ausnutzt.“

„Mit gutem Gefühl verkaufen Sie nicht viel“, wirft ein Zuhörer ein. Laufer-Stark stimmt ihm zu: Man muss weniger Gewinne in Kauf nehmen, aber anders denken. „Wenn ich statt sieben Prozent nur zwei Prozent verdiene, liegt in den fünf Prozent unsere Zufriedenheit.“

Info Die Kirchheimer Regionalgruppe der Gemeinwohlökonomie trifft sich jeden ersten Mittwoch im Monat in der Kirchheimer Stiftsscheuer am Platz der kleinen Freiheit. Kontakt: kirchheim-teck@ecogood.org.

 

Idee ist mehr als zehn Jahre alt

Die Idee der Gemeinwohlökonomie stammt etwa aus dem Jahr 2010. Sie basiert auf den Ideen des österreichischen Publizisten Christian Felber. Die GWÖ versteht sich als Wegbereiterin für ein ethisches Wirtschaftsmodell. Erfolg wird nicht primär an finanziellen Kennzahlen gemessen, sondern mit dem Gemeinwohl-Produkt für eine Volkswirtschaft, der Gemeinwohl-Bilanz für Unternehmen und der Gemeinwohl-Prüfung für Investitionen.

Aktuell gehören nach eigenen Angaben weltweit 11 000 Unterstützer und Unterstützerinnen zur Bewegung, auf mehr als 170 Regionalgruppen verteilen sich rund 5000 Mitglieder. Zu 35 GWÖ-Vereinen kommen über 1000 bilanzierte Unternehmen und andere Organisationen, knapp 60 Gemeinden und Städte sowie 200 Hochschulen weltweit, die die Vision der Gemeinwohl-Ökonomie verbreiten, umsetzen und weiterentwickeln.

Die Universität Valencia hat 2017 einen GWÖ-Lehrstuhl eingerichtet, in Österreich brachte die Genossenschaft für Gemeinwohl 2019 ein Gemeinwohlkonto auf den Markt, und im Herbst 2020 wurden im Kreis Höxter (DE) die drei ersten Städte gemeinwohlbilanziert. Seit Ende 2018 gibt es den Internationalen GWÖ-Verband mit Sitz in Hamburg. Der EU-Wirtschafts- und Sozialausschuss empfahl 2015 eine Umsetzung der GWO in der EU.