Arbeitsleben
Wie die 80-jährige Annerose Weber die Zukunft mitgestaltet

Kurz vor ihrem runden Geburtstag ist die Seniorchefin noch immer ein Fixpunkt in der Landmetzgerei Scheu und Weber in Owen. Ans Aufhören denkt sie noch lange nicht.

Annerose Weber in ihrem Element: Mit fast 80 Jahren will die Seniorchefin der Landmetzgerei Scheu und Weber künftig etwas kürzertreten. Ihre Meinung ist im Unternehmen aber nach wie vor gefragt. Foto: Carsten Riedl

Sie kann es drehen und wenden, wie sie will – die Lücke bleibt. An diesem Morgen fehlen unterm Strich zwei Leute. Urlaube lassen sich planen, Krankheit nicht. Dabei ist die Lage ohnehin schon angespannt, nicht erst seit diesem Tag. „Ich weiß nicht, woher nehmen“, sagt Annerose Weber und stöhnt. Gemeinsam mit der Schwiegertochter brütet sie über Schichtplänen und Bestelllisten. Eine Arbeit, die nach wie vor ihren Alltag bestimmt und die sie gerne macht. Nicht zuletzt, weil sie gebraucht wird – seit mehr als 60 Jahren.

Während die halbe Republik sich den Kopf zerbricht über Aktivrente und die Tücken des demografischen Wandels, denkt sie zum ersten Mal leise über eine unbestimmte Form von Altersteilzeit nach. Im Januar feiert Annerose Weber ihren 80. Geburtstag. Doch wirklich Schluss wird für die Seniorchefin der Landmetzgerei Scheu und Weber im Arbeitsleben auch dann noch nicht sein. Im Familienbetrieb in mittlerweile vierter Generation ist sie die Konstante. Und das wird vorerst auch so bleiben.

Das Schwätzchen wird es dann leider nicht mehr geben.

Annerose Weber, Seniorchefin der Landmetzgerei Scheu und Weber über den Umbau der Hochwanger Filiale zum SB-Laden.

Hauptverantwortlicher im Betrieb ist längst ihr Sohn. Hans-Jörg Weber lenkt das Unternehmen durch schwierige Zeiten mit schwacher Konjunktur, verändertem Konsumverhalten und wachsendem Fachkräftemangel. Einen Generationenkonflikt gibt es im Familienbetrieb nicht. „Er ist der Chef“, sagt Annerose Weber. Und trotzdem: Bis heute fällt keine Entscheidung mit Tragweite, ohne nicht wenigstens ihr Urteil gehört zu haben. Schließlich haben sie und ihr Mann, der vor drei Jahren verstarb, das Geschäft maßgeblich zu dem gemacht, was es heute ist: Ein erfolgreicher Fleischereibetrieb mit 130 Beschäftigten und mittlerweile 15 Filialen. Entstanden aus einer beschaulichen Metzgerei in Owen, die die Großeltern Hermann und Frieda Scheu in den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts gegründet und die beide Eltern modernisiert und um eine Gaststätte erweitert haben. Das „Schwabenstüble“ in Owen, das lange ihr Bruder geführt hat, ist zwar längst verpachtet, der Metzgereibetrieb führt die Familientradition fort.

Eine Regel, die Annerose Weber nie aus dem Blick verloren hat: Offen zu sein für Neues ist Grundvoraussetzung für jeden unternehmerischen Erfolg. Deshalb tritt sie nicht einfach kürzer, sondern begleitet den nächsten Schritt in die Zukunft. Droben in Hochwang haben sie ihr am vergangenen Samstag den roten Teppich ausgerollt. An ihrem letzten Arbeitstag hinter der Theke jener Filiale, die 1960 die erste war, und in der sie das vergangene Jahrzehnt zum lebenden Inventar zählte. Seit Samstag ist in Hochwang geschlossen, aber nur für eine kurze Zeit. Nach Ende der Umbauarbeiten wird das Geschäft in der Lenninger Teilgemeinde auf der Alb noch im November seine Pforten wieder öffnen. Als 24/7-Laden mit Dingen für den täglichen Bedarf, zu dem neben frischen Backwaren auch wieder Fleisch und Wurst aus eigener Herstellung gehören wird. Ein Rund-um-die Uhr-Service, wie es ihn in Owen bereits gibt. Dort ist es ein Erfolgsmodell, das in erster Linie als Antwort auf den fortschreitenden Personalmangel verstanden werden will.

Am Tag der Wiedereröffnung wird Annerose Weber wieder im Laden stehen. Der Großteil der Klientel in Hochwang sind langjährige Stammkunden. Für sie soll es eine Einführung geben, um zu lernen, wie das neue System funktioniert. „Das hab ich versprochen“, sagt sie. Die meisten haben positiv auf die neuen Pläne reagiert, aber längst nicht alle. Zwar gibt es in Hochwang schon lange keinen Nahversorger mehr. Doch nach der Schließung der herkömmlichen Metzgerei-Filiale wird das Dorfleben eben nicht nur um ein paar Lebensmittel reicher, sondern auch um etwas Entscheidendes ärmer sein: „Das gewohnte Schwätzchen wird es so dann leider nicht mehr geben“, sagt Annerose Weber.

Für sie heißt es dann nur noch: Ware einräumen, Sortiment prüfen, nachbestellen. Die Wege sind kurz. Sie wohnt in direkter Nachbarschaft im Haus, das sie und ihr Mann Ende der Neunzigerjahre haben bauen lassen. Am Stammsitz in Owen wird sie zwar weiterhin im Büro mithelfen, doch mit 80 Jahren wird es dann zum ersten Mal geben, was für den Großteil der Bevölkerung selbstverständlich ist: einen freien Samstag. Und wenn sie im Januar ihren runden Geburtstag feiert, dann wird das Fest so sein, wie es sich für sie und die Familie gehört: im kleinen Rahmen – und was wichtiger ist: an einem Sonntag.