Nun also doch? Ist die Sperrung der bei Wanderern und Radlern so beliebten Pfannensteige zwischen Neidlingen und dem Rastplatz „Bahnhöfle“ mehr als eine übertriebene Vorsichtsmaßnahme? Geht von der von Steinschlag bedrohten Waldtrasse eine reale Gefahr für Leib und Leben aus? Eine besorgte Leserin dieser Zeitung, die vor Kurzem von einem massiven Felssturz im Gebiet unterhalb des Reußensteins berichtet hat, lag jedenfalls falsch. Zwar versperrt dort tatsächlich ein größerer Felsblock einen Teil des Weges, doch der liegt da schon sehr lange und wurde ganz bewusst dort platziert – sozusagen als Mahnmal für Leichtsinnige und um den Durchgang zu erschweren.
Also alles halb so wild? Tatsache ist: Die Pfannensteige bleibt auch im zehnten Jahr der Sperrung ein Ärgernis und verleitet gerade deshalb vor allem an Wochenenden Scharen von Wanderern und Radlern zur Missachtung des Verbots. Den Grund für die seit einem Jahrzehnt andauernde Posse, bei der kein Ende in Sicht zu sein scheint, kennt inzwischen fast jeder: ein langwieriges Genehmigungsverfahren für notwendige Felssicherungsarbeiten, in dem neben Landratsamt und Ministerien auch die EU als oberste Instanz mitspielt, weil der Reußenstein eingebettet in eine sogenannte FFH-Natura-2000-Schutzzone liegt.
Während das Verfahren läuft und bis zur Stunde auch niemand sagen kann, wie lange es noch dauern wird, stellt sich für verbotswidrige Passanten wie auch für furchtsamere Gemüter die Frage: Was wäre eigentlich, wenn eines Tages wirklich etwas passiert? Genügt der Hinweis per Verbotsschild oder schließt das Wissen um die Vielzahl derer, die es
In der Natur gibt es keinen Vollkaskoschutz.
Neidlingens Bürgermeister Jürgen Ebler plädiert für eine Neubewertung der Gefahrenlage für die Pfannensteige.
ignorieren, eine Verantwortung mit ein? Beim Reußenstein handle es sich um keine waldtypische Gefahr, klärt man seitens des Landratsamtes auf. „Mit einer Gefahr wie dort haben Waldbesucher grundsätzlich nicht zu rechnen, wenn sie den Wald betreten“, sagt Landkreis-Sprecherin Andrea Wangner. Deshalb sei die Sperrung die einzige verhältnismäßige Schutzmaßnahme. Werde diese ignoriert, sei das nicht nur eine Ordnungswidrigkeit, Passanten bewegten sich zudem auf eigene Gefahr im gesperrten Gebiet. „Eine Behörde kann man dafür nicht verantwortlich machen“, stellt Wangner fest.
Eine Meinung, die der Kirchheimer Rechtsexperte Paul Oesterle nicht vollständig teilt. Wenn dort noch nie Felsen oder Steine abgegangen seien, handle es sich zwar um eine abstrakte Gefahr, so wie das im Gebirge vielerorts der Fall sei. Dann meint Oesterle, reichten Warnschilder aus, weil sich die Verkehrssicherungspflicht nur auf die Personen beziehe, die sich berechtigterweise auf einem gesperrten Gelände aufhalten. „Das gilt nach der Rechtsprechung jedoch dann nicht mehr, wenn demjenigen, dem die Verkehrssicherungspflicht auferlegt ist, bekannt ist, dass eine entsprechende Beschilderung regelmäßig ignoriert wird.“ Ein juristischer Freifahrschein, so der Anwalt, sei das allerdings nicht. „Wer das Verbot ignoriert, muss bedenken, dass Gerichte dadurch wohl zumindest von einem anspruchsmindernden Mitverschulden ausgehen würden“, sagt Oesterle.
Doch wie real ist die Gefahr wirklich, die von der Burgruine und ihren Felsen ausgeht? Laut Landratsamt sehr real. Die sicherheitstechnische Untersuchung der Ruine habe ergeben, dass sich Felspartien in einigen Bereichen in absturzgefährdetem Zustand befänden, sagt Wangner. Einen Geröllabgang habe es im laufenden Jahr bereits gegeben. Die Gefahr durch Steinschlag oder Felsabbrüche sei akut. „Deshalb haben wir die Sperrung des Waldgebiets und seiner Zugangswege in diesem Bereich im Januar bis Ende 2025 verlängert.“
Neidlingens Bürgermeister Jürgen Ebler hingegen plädiert für eine Neubewertung der Gefahrenlage. „Schließlich brauchen wir eine Lösung auch für den Fall, dass die EU kein grünes Licht für die Sicherungsmaßnahmen gibt.“ Wer in den Alpen wandere, sei vor Felsstürzen oder Ähnlichem nirgends sicher, sagt Ebler. „In der Natur gibt es nun mal keinen Vollkaskoschutz.“
Antrag läuft seit Sommer 2022
Die Felsköpfe am Reußenstein sind von Kalk-Pionierrasen besiedelt, der in Ballungsgebieten einen der letzten Lebensräume für bedrohte Tier- und Pflanzenarten darstellt. Die Mitgliedsländer der EU haben solche Gebiete bereits 1992 mit der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) unter besonderen Schutz gestellt.
Eine Felssicherung an dieser Stelle gilt als massiver Eingriff in die sensible Zone. Das Landratsamt in Esslingen hat im Sommer 2022 einen entsprechenden Antrag beim Umweltministerium Baden-Württemberg eingereicht. Von dort geht dieser weiter zum Bund und letztlich zur Europäischen Kommission. Beantragt wurden sowohl die Sicherung und Sanierung der Kellerwand und der darunterliegenden Felspartien als auch die allgemeine Sicherung der Felspartien entlang der Ringmauern.
Die lange Zeit bis zur Antragstellung erklärt man im Landratsamt mit umfangreichen naturschutzfachlichen Gutachten und einer denkmalschutzrechtlichen Bewertung, die durch Corona zudem erschwert worden seien. Die Pfannensteige unterhalb des Reußensteins ist deshalb bereits seit Dezember 2014 gesperrt. bk