Wer würde nicht gerne dabei helfen, die Klimaerwärmung abzubremsen? Wie wäre es mit 0,1 Grad? Aber wie könnte das gehen? Ganz einfach: Mit der Abschaffung der Wiederkäuer – also Milchkühe, Schafe und Ziegen – auf unserem Planeten.
Ganz so einfach ist das natürlich nicht. Denn: Wie sollte die Nahrung, für die die Kühe sorgen, ersetzt werden? Schließlich taugen rund 70 Prozent der weltweiten landwirtschaftlichen Nutzflächen nur als Wiese oder Weide. Lediglich Wiederkäuer können die dort wachsenden Pflanzen zu menschlicher Nahrung umwandeln. Diese Zahl zeigt die Bedeutung der fleißig Methangas produzierenden Wiederkäuer für das Klima. Es wäre also von immenser Bedeutung, wenn die Emissionen der Kühe drastisch reduziert werden könnten.
Bis 2030 will Nestlé seine Treibhausgas-Emissionen halbieren. Ausgerechnet der, wird jetzt so mancher sagen. Der in 186 Ländern rund 300 000 Mitarbeiter beschäftigende größte Lebensmittelhersteller der Welt geriet in der Vergangenheit immer wieder in die Kritik. „Versuchen Sie mal, einen Tag lang nichts von Nestlé zu kaufen oder zu konsumieren. Es wird Ihnen kaum gelingen“, bringt Stephan Schneider die Größe und Bedeutung des Giganten aus der Schweiz auf den Punkt. Schneider ist an der Nürtinger Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) Professor für Tierernährung. Zusammen mit seinem Kollegen Markus Frank, der Professor für Pflanzengesundheitsmanagement ist, betreut er die erste deutsche Klima-Milchfarm.
Den Betrieb von Mario Frese im nordhessischen Mörshausen besuchte am Montag Prominenz aus Politik und Presse. Das Aufsehen ist groß – und die HfWU mittendrin. Klar, denn der zur Hochwald-Genossenschaft gehörende Betrieb soll Modell sein. 45 landwirtschaftliche Betriebe weltweit sollen entstehen. Nestlé will sich das schlappe 1,1 Milliarden Euro kosten lassen. Mit Gutmenschentum habe das nicht unbedingt etwas zu tun, räumen Schneider und Frank ein. Vielmehr sagt Frank: „Ihr Geschäftsmodell steht mit dem Rücken zur Wand.“ Schließlich hat der UN-Weltklimarat als Ziel die Reduktion der CO2-Emissionen bis 2030 und die Klimaneutralität bis 2050 ausgerufen, um die Klimakrise halbwegs eindämmen zu können. Was also, wenn Unternehmen, die nicht Schritt halten könnten, Sanktionen drohten?
Schon die Molkereien müssen Milch in einem aufwendigen Prozess erhitzen und wieder abkühlen – für H-Milch, Käse und Joghurt unter anderem. Das macht aber nur 20 Prozent des bei der Produktion von Milch- und Molkereiprodukten entstehenden Kohlendioxids aus. Der Rest entsteht auf den Höfen, bei den Landwirten, bei ihren Kühen und dem dazugehörigen Futterbau. Werde also CO2-Neutralität angestrebt oder gar vorgeschrieben, entstehe Druck auf die Landwirte. „Deshalb sind wir von der HfWU dabei. Weil es die Landwirte betrifft“, sagt Schneider. Denn: „Die Milchproduktion funktioniert nicht ohne Treibhausgas-Emissionen.“ Nestlé sei wiederum der größte Milchkäufer der Welt. Und: Ein Drittel des ökologischen Fußabdrucks von Nestlé entsteht durch die Milchwirtschaft. Darin liegt also der ökonomische Handlungsbedarf. Aber eben auch die ökologische Bedeutung des Projekts.
Zuerst einmal müssen von der HfWU die Berechnungsgrundlagen geschaffen werden. Dafür werde gemessen und gewogen. „Ganz banal“ werden Daten erhoben. Sonden und Sensoren werden angebracht, Waagen werden installiert. Denn: „Ein Landwirt wiegt ja nicht, wenn er Futter mäht“, gibt Schneider ein Beispiel. Also wurde eine 60-Tonnen-Waage für Fuhrwerke bei Freses installiert. Die Milch messe man ja bereits: „Wir wissen, was hinten rauskommt.“ Nun wird auch messbar gemacht, was vorne reingesteckt wird. Die Experten schauen also nach den Stellschrauben für das Verhältnis von Input und Output. Damit ergeben sich 30 Maßnahmen, die kalkuliert und ökonomisch bewertet werden. „Es muss sich rechnen“, sagt Schneider.
Für die Maßnahmen gibt es Bedingungen. Unantastbar ist zum Beispiel das Tierwohl. Auch die Artenvielfalt in der Agrarlandschaft müsse man im Auge haben. Blühstreifen zum Beispiel auf Bereichen mit wenig Ertrag hätten einen doppelten Effekt. Um so etwas zu erkennen, müsse man um die Ecke denken und komplizierte Sachverhalte einfach erklären. Frank sagt: „Wir sparen nicht direkt, wir machen Dinge, die indirekt die Bilanz ausgleichen.“
Die Professoren haben das Gefühl, an etwas Gutem, etwas Nachhaltigem mitzuwirken. Auch wenn ihnen bewusst ist, dass Nestlé nicht als einziger Konzern auf diesem Sektor unterwegs ist – und das Geld sicher auch aus marketingtechnischen Überlegungen einsetzt. Aber: Schließlich soll der CO2-Ausstoß eines landwirtschaftlichen Betriebs, dessen Emissionen dem Ausstoß von 1100 bis 1200 Haushalten gleicht, halbiert werden. „Das hat ordentlich Wumms“, betont Dr. Markus Frank.