Es gibt nur wenige Gewinner der Corona-Pandemie. Martin Sigel, selbstständiger Edeka-Genossenschafter und Inhaber von zwei Märkten in Esslingen und drei weiteren in Oberboihingen, Oberlenningen und Bad Urach, gehört zu den Glücklichen. Um rund 50 Prozent hat er seinen Umsatz gesteigert, seit Ende Februar/Anfang März das Coronavirus jeden Tag mehr zum Thema wurde und die Kundschaft in den Kaufrausch trieb. „Doch das Ende ist da. Mittlerweile sind wir alle wieder auf dem Boden angekommen“, meint jedenfalls Sigel. Mehr noch: Er kündigt wieder volle Regale an.
Covid-19 hatte seine Branche zu einem Zeitpunkt erwischt, in dem Marktleiter ihre Mitarbeiter gerne in den Jahresurlaub schicken oder Überstunden abbauen lassen. „Die Zeit zwischen Fasching und Ostern ist im Lebensmittelhandel eigentlich die ruhigste im ganzen Jahr“, sagt Sigel. Umso mehr hat es Einzel- wie Großhandel getroffen, dass eine ganze Nation nach den Faschingsferien nach Mehl, Nudeln, Konserven, Seifen und dem berüchtigten Klopapier lechzte. „Gewaltige Mengen“ sind da in der Wäldenbronner Straße, im Oberesslinger Lammgarten und am Albtrauf über seine Kassenbänder gerollt. „Mehr als an Weihnachten.“ Er holte seine Mitarbeiter aus dem Urlaub zurück, es mussten Extraschichten gefahren werden. Doch nach ein, zwei Wochen stockte die Warenversorgung. „Wir wussten nicht mehr, wann wir was bekommen.“ Damit konnte er auch die Arbeitsschichten nicht mehr vernünftig planen. Als überall Mensen und Kantinen schlossen, „ist der Lebensmittelbedarf an eine andere Stelle gewandert. Aber die Lebensmittelversorgung ist nicht mitgewandert“, erklärt Sigel. Die einzelnen Produkte werden an die Großküchen in ganz anderen Verpackungen und Dimensionen geliefert, als sie der Einzelhandel braucht. „Ich weiß von Kollegen, die Drei-Kilo-Blöcke Hefe klein geschnitten und offen verkauft haben.“ Zudem kämen viele Zutaten der Konservenkost aus China - ein Weg, der einfach zu ist.
Hausgemachte Probleme
Dass es nach wie vor am Klopapier mangelt, ist aus seiner Sicht aber eher ein hausgemachtes Problem im Kopf des Menschen. „Es wird die gleiche Menge produziert wie sonst auch.“ Sobald eine Lieferung in seinen Märkten eingegangen sei, werde das von der Kundschaft in den sozialen Netzwerken gepostet - und weg sind die Rollen. Keiner wolle der Dumme sein, der am Ende keine mehr abbekomme, weil er nicht rechtzeitig zugegriffen habe. So beschreibt er das Phänomen. Normalerweise verkauft er im Lammgarten im Monat 800 Packungen. „In diesem März habe ich dieselbe Menge in der Hälfte der Zeit verkauft.“
Auch er hat in seinen Märkten die Edeka-Empfehlungen umgesetzt, Hamsterprodukte zu rationieren. Zu 95 Prozent habe die Kundschaft sehr verständnisvoll reagiert, lobt er. Aber natürlich gab es auch solche, die sich fünf Mal hintereinander mit ihren Klopapierrollen oder Mehlpäckchen an verschiedenen Kassen angestellt hatten. Das Personal sei dann schon eingeschritten. „Ich habe meinen Mitarbeitern aber auch gesagt: Bevor jemand handgreiflich wird, verkauft es.“
Seine beiden Esslinger Märkte sind um die 900 Quadratmeter groß. Da ist es mitunter nicht einfach, mit Klebebändern 1,50 Meter Abstand an Kassen und Bedientheken zu markieren. Neulich morgens standen etwa 40 Kunden schon vor Ladenöffnung vor dem Markt. Das macht Einlasskontrollen schwierig. „Was nutzt es, wenn ich sie nur einzeln hineinlasse - und sie treffen sich dann alle wieder bei der Hefe?“ Von getrennten Einkaufszeiten für Senioren hält Sigel wenig. „Wir haben uns das auch überlegt. Aber dann kämen 20 Prozent von ihnen morgens, der große Rest über den Tag verteilt.“ Überhaupt: „Das Einkaufsverhalten der Älteren ist besorgniserregend. Sie möchten sich treffen und schwätzen. Das ist zwar verständlich. Aber ihre Sorglosigkeit ist manchmal beängstigend.“
„Helden des Alltags“ schichten
Plexiglas soll seine Kassierer vor Virentröpfchen schützen. Doch das war nur mühsam zu bekommen - weil es plötzlich alle haben wollten. In diesem Fall wurde der Händler selbst zum Kunden. Manche Kollegen von Sigel haben sich als Notlösung mit Frischhaltefolie beholfen. Die Mitarbeiter seien hart im Nehmen, lobt er seine „Helden des Alltags“. Er versucht, getrennte Schichten zu fahren, um sie zu schützen und im Falle einer Corona-Infektion nicht den ganzen Laden dichtmachen zu müssen. Bislang hatte er nur drei Verdachtsfälle, die aber alle negativ getestet wurden.
Der 45-jährige Oberlenninger, mit dem die vierte Generation seiner Familie im Einzelhandel steht, erinnert sich noch daran, dass während des Golfkriegs verstärkt zu Mehl und Zucker gegriffen wurde. „Aber das ist nur ein minimaler Bruchteil von dem, was zuletzt hier lief.“ Für die kommenden Wochen rechnet Martin Sigel sogar mit Einbußen von zehn bis 20 Prozent - obwohl fast ganz Deutschland im Home-Office hockt. Denn der Branchenkenner ist überzeugt: „Die Vorratskeller der Kundschaft müssten jetzt eigentlich voll sein.“ Und das nicht nur mit Klopapier.