Mit Honigbienen fing vor zehn Jahren alles an: „Unser Sohn Mark hatte die Idee, Honigbienenvölker auf unserem Gartengrundstück mit verschiedenen Obstbäumen und Beerensträuchern auf der Esslinger Katharinenlinde aufzustellen. Nach anfänglichem Zögern meinerseits haben wir beschlossen, die Idee in die Tat umzusetzen“, erzählt Thomas Kroll.
Bevor die ersten beiden Bienenvölker Einzug hielten, besuchte er gemeinsam mit seinem Sohn einen Imker-Kurs der Landesanstalt für Bienenkunde an der Universität Hohenheim. „Das ist auf jeden Fall notwendig. Man muss die Tiere und deren Pflege verstehen“, betont Thomas Kroll, der seither begeisterter Hobby-Imker sowie Mitglied im Bezirksbienenzüchterverein Esslingen ist und sich über die Jahre sehr viel Wissen angeeignet hat.
Über die Jahre kamen zusätzlich mehrere Streuobstwiesen in Esslingen dazu, die die Familie samt ebenfalls gewachsener Bienenvölkerzahl bewirtschaftet. Seit letztem Jahr hat Thomas Kroll zudem ein offizielles Zertifikat für die Wildbienen-Zucht. Die fleißigen Bestäuber seien gerade für den Obstbau eine effektive Ergänzung zu den Honigbienen. In Japan etwa würden Wildbienenarten wie die Mauerbiene schon seit Jahrzehnten erfolgreich zur Bestäubung von Obstbäumen eingesetzt, so der Imker.
Wildbienen bestäuben früher
„Eine reiche Obsternte kann es nur geben, wenn die Obstblüte rechtzeitig bestäubt wird, also Pollen auf die Narbe gelangt und danach die Befruchtung und die Fruchtbildung erfolgen“, erklärt Thomas Kroll. „Für einen Vollertrag müssen bei Steinobst circa 20 bis 25 Prozent, bei Kernobst rund zwölf bis 15 Prozent der Blüten befruchtet sein.“ Dass Wildbienen wie die Mauerbiene viel effizienter beim Bestäuben seien als Honigbienen, habe mehrere Gründe: Wildbienen sind sehr anpassungsfähig, sie nutzen eine breite Palette an Pflanzen als Nektar- und Pollenquelle. Obstbäume sind bei den Mauerbienen zum Beispiel die Präferenz, auch Wildblumen werden angeflogen, was für deren Erhalt und Vielfalt sorgt. Dazu sind Wildbienen resistenter: Die Gehörnte Mauerbiene fliegt bereits ab vier Grad, die Rote Mauerbiene ab gut zehn Grad. Honigbienen dagegen erst ab zwölf bis 15 Grad. Für früh blühende Obstsorten kann die Temperatur so über Erfolg oder Misserfolg der Ernte entscheiden.
Mauerbienen haben zudem einen Flugradius von nur wenigen Hundert Metern, sind also in einem begrenzten Umfeld besonders aktiv, während die Honigbienen bis zu fünf Kilometer weit fliegen. „Mauerbienen sind im Gegensatz zur Honigbiene außerdem sehr behaart und können dadurch viel Pollen transportieren. Wildbienen sind Solitärbienen, das heißt, die Tiere sind Einzelgänger und alle als Bestäuber unterwegs und nicht nur ein dafür zuständiger Teil wie beim Honigbienenvolk“, ergänzt der Imker.
Leasing für Obstbauern
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Klimawandels sei es hilfreich, gerade auch im Obstbau resistentere und flexiblere Bienenarten zu nutzen. Für Obstbauern bietet Thomas Kroll nach vorherigen erfolgreichen Testläufen auf den eigenen und den Obstwiesen von Bekannten seit letztem Jahr offiziell ein „Wildbienen-Leasing“ an: Kurz vor der Blüte stellt er auf Anforderung Nisthilfen mit Mauerbienenkokons auf deren Obstwiesen auf. „Die Kirschblüte ist der Auftakt, sie muss man gut beobachten und den richtigen Moment abpassen. Die Hauptflugzeit der Gehörnten Mauerbiene findet zwischen Mitte März und Ende Mai statt, sie ist daher besonders geeignet zur Bestäubung von Steinobst wie Mirabellen und Kirschen. Die Rostrote Mauerbiene fliegt etwas später, sie startet Ende April und fliegt bis Ende Juni. So ist sie ein idealer Bestäuber für späteres Steinobst wie Zwetschgen und Kernobst wie Äpfel und Birnen sowie für Erdbeeren, Himbeeren, Johannis- und Stachelbeeren“, erklärt Thomas Kroll. „Im September holen wir die Nistkästen dann wieder rein, entnehmen die neuen Kokons mit dem Wildbienennachwuchs und bereiten diese für die Überwinterung vor. Bei ein bis vier Grad werden die Kokons bis zum nächsten Frühjahr gelagert. Die Nistkästen werden gereinigt und für den nächsten Einsatz auf den Obstwiesen vorbereitet.“
Derzeit nutzen bereits Obstbauern aus Esslingen, dem Remstal und vom Obst- und Gartenbauverein Neidlingen sein Wildbienen-Leasingangebot. Daniela Ambacher und Björn Epple aus Neidlingen bereits im dritten Jahr, sie waren schon bei den Testläufen vor dem 2022 offiziell gestarteten Angebot dabei. Beide sind von den fleißigen Bestäubern überzeugt: „Das hilft auf jeden Fall, dass die Wildbienen früher fliegen. Wir hatten dank ihnen schon zweimal einen Vollertrag, davor hat das öfter geschwankt“, berichtet Daniela Ambacher, deren Familie Wiesen mit Apfel-, Kirsch- und Birnbäumen, dazu Mirabellen und Zwetschgen bewirtschaftet.
Ähnlich sieht es Björn Epple, bei dem einen Hauptanteil die Kirschbäume ausmachen: „Dieses Jahr war bei der Kirschblüte der viele Regen ein Problem, aber die Blüten wurden dank der Wildbienen früh bestäubt. Bei manchen Kirschsorten wird es wegen des Wetters einen gewissen Ausfall geben. Das zeigt sich bei der Ernte genauer.“
Ökologische Funktionen der Wildbiene
Bestäubung. Laut BUND sind in Europa etwa 150 verschiedene Nutzpflanzen und rund 80 Prozent der Wildpflanzen abhängig von der Bestäubung durch Insekten. Weltweit sind 35 Prozent der produzierten Lebensmittel auf Bestäuber angewiesen. Wildbienen benötigen Nektar und Pollen für ihre eigene Versorgung und sind sehr eifrige Blütenbesucher. Dabei tragen sie Blütenpollen von einer Blüte zur anderen und befruchten quasi nebenher die Pflanzen. Wildlebende Insekten erreichen mit der gleichen Zahl von Blütenbesuchen einen doppelt so hohen Fruchtansatz wie Honigbienen.Arten. Einem Bericht des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft zufolge gibt es in Deutschland fast 600 verschiedene Wildbienenarten. Anders als die Honigbienen leben die meisten Wildbienenarten nicht in größeren sozialen Gruppen. Die Gehörnte und die Rote Mauerbiene sind typische Frühjahrsbienen. Sie überwintern als fertige Biene im Kokon und können im Frühjahr schnell starten. eis