Bei einer Radtour können die Alltagssorgen wunderbar vergessen werden und auch ein Spaziergang eignet sich doch perfekt, um die Gedanken schweifen zu lassen. Keine Frage: In der Natur kann man prima entspannen und spätestens seit Corona geht der Trend überwiegend ins Grüne. Doch des einen Freud ist des anderen Leid. Denn dass die Menschen bei ihren Aktivitäten in den Lebensraum der Waldbewohner eindringen, ist den meisten Naturliebhabern gar nicht bewusst. Und es könnte so einfach sein: Der Wald ist groß genug, die Tiere hindert doch nichts daran, abzuhauen. Für Wildschweine kann das vielleicht gelten. Die borstigen Schwergewichte sind praktisch im ganzen Wald zu Hause und wandern einfach einen Kilometer weiter, wenn es ihnen zu bunt wird. Rehe jedoch sind da anders gestrickt: „Jedes Reh hat sein Territorium. Dringt ein anderes Reh in dieses Gebiet ein, wird es gnadenlos fortgejagt“, erklärt der Jäger German Kälberer.
Er hat beobachtet, dass besonders die Tiere, die in einem bestimmten Territorium leben, unter den vielen Waldbesuchern leiden, da sie besonders in kleineren Waldgebieten keinen Ausweg finden. „Wo sollen sie auch hin? Rehe leben sehr kleinräumig und sind ortsgebunden. Nach einer kurzen Flucht sind sie schon im nächsten Territorium, dort treibt sie dann aber das andere Reh zurück. Wenn das mehrmals am Tag passiert, stresst das die Rehe nicht nur extrem, die ständigen Störungen schwächen sie auch“, berichtet der Jäger besorgt.
Hinzu kommt, dass es kaum noch ungestörte Flecken in Wald und Flur gibt. Immer öfter verlassen die Menschen die Wege auf der Suche nach Neuem: Mountainbiker finden querfeldein reizvolle Offroad-Routen und Spaziergänger erleben abseits des Weges kleine Abenteuer. Hinzu kommen Geo-Cacher, die ihre kleinen Schätze selbst zur Unzeit dort suchen, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen.
Die unbedachten Besuche können sogar Leben kosten. Denn wenn das Wild aufgeschreckt wird, flüchtet es. Dabei können die Tiere in ihrer Panik auf die Straße rennen und zwischen die Räder geraten. Passiert das nicht mit einem kleinen Hasen, sondern mit einem ausgewachsenen Wildschwein, kann das auch für die Verkehrsteilnehmer gefährlich werden.
Der Gartenrotschwanz hat es schwer, seinen Nachwuchs bei all dem Trubel zu versorgen. Fotos: Rolfes/Symbolbild
Dass die Störungen nicht nur den Tieren am Boden zu schaffen machen, weiß der Vogelexperte und Jäger Erwin Schwarz. Als Beispiel nennt er den Gartenrotschwanz und den Wendehals. Obstbaumwiesen sind das beliebte Jagdrevier dieser Arten. Dort suchen sie nach Insekten für ihren Nachwuchs. „Doch sie brauchen Ruhe zum Jagen“, erklärt der Vogelkundler und berichtet: „Es gibt schon weniger Insekten, die die Vögel erbeuten können. Wenn sie zusätzlich immer wieder gestört werden, können sie nicht genug Futter für den Nachwuchs fangen, der hungrig im Nest wartet.“ Vor allem Hunde, die frei durch die Wiesen stöbern, werden hier zum Problem.
Letztendlich komme es darauf an, wie, wann und wo Menschen die Natur aufsuchen. Die Jäger wissen: „Das Wild braucht Rückzugsgebiete und Ruhezonen.“ Vor allem in den Setz- und Aufzuchtzeiten von April bis Juli, aber auch in den kalten Wintermonaten, wenn die Wildtiere mit ihrer Energie sparsam umgehen müssen.
Mit ein wenig Rücksicht kehrt schnell die nötige Ruhe in den Wald ein. Wenn die Besucher auf den Hauptwegen, und somit für die Tiere berechenbar, bleiben und nicht zu Unzeiten unterwegs sind, ist dem Wild schon viel geholfen. Auch Hundehalter stehen in der Pflicht: Sie sollten gewährleisten, dass ihr Hund nicht unkontrolliert im Wald oder in Wiesen stöbert. Denn „Jagdverhalten ist ein natürlicher Instinkt des Hundes, auch wenn es beim einen vielleicht weniger ausgeprägt ist als beim anderen“, erklärt German Kälberer.