Vor 75 Jahren, am 23. Mai 1949, trat das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Ein Meilenstein, den Ministerpräsident Winfried Kretschmann beim Neujahrsempfang des Kreisverbandes der Grünen in Wendlingen am Donnerstagabend in den Fokus seiner Rede stellte. Ein Grundgesetz, das Deutschland über viele Jahrzehnte Freiheit und inneren Frieden geschenkt habe. „Das Jahr hat gut angefangen, weil nun hunderttausende von Menschen für diese Verfassung auf die Straße gingen“, sagte Kretschmann. Und warnte davor, die Demokratie als selbstverständlich anzusehen.
Wie ein Flächenbrand habe sich die rechtspopulistische Gefahr breitgemacht, sagte der Nürtinger Landtagsabgeordnete. Am Beispiel Polens zeigte er jedoch auch auf, dass dieser Rechtspopulismus an den Wahlurnen besiegt werden kann. „Das macht mir Hoffnung“, sagte er.
Anfangs noch verhalten, kam Kretschmann in seiner halbstündigen Rede immer mehr in Fahrt. Es war vor allem die AfD, die er sich vornahm. „Völkische Ideen haben wir schon erlebt. Und mit dieser Ideologie sind wir schon einmal in den Untergang gerast. Doch von dieser Ideologie ist diese Partei durchdrungen“, sagte Winfried Kretschmann. Und nannte den Nationalismus ein gefährliches Gift.
Dieser Ideologie setzte der Ministerpräsident die Pluralität einer Gesellschaft entgegen. Das Land profitiere von dieser Pluralität, in der jeder Mensch ein Unikat sei. Das Programm der AfD basiere jedoch auf Gleichschaltung. „Das müsse man wissen“, sagte Kretschmann.
EU-Austritt schlimmer als Brexit
Die Verfassung garantiere den Menschen gleiche Rechte, egal woher sie kommen. „Wer das infrage stellt, legt die Axt an Freiheit und Wohlstand“, sagte der Ministerpräsident. Doch diesen Wohlstand sieht er durch die AfD aufs Spiel gesetzt. Und zwar unter anderem durch den von der Partei kommunizierten Willen, aus dem Staatenverbund der EU auszutreten. „Für uns wäre das schlimmer, als für die Briten“, ist sich der Ministerpräsident sicher.
Raus aus der Nato? Das wollen sie nur, weil sie so große Putin-Freunde sind, wetterte Kretschmann. Das übrige Programm der AfD: rückwärtsgewandt, innovations- und wissenschaftsfeindlich. Um aufzuzeigen, wie gefährlich der Rechtskurs der AfD ist, zitierte Kretschmann den thüringischen AfD-Vorsitzenden Björn Höcke, der in seinem Gesprächsband „Nie zweimal in denselben Fluss“ den Satz schrieb: „Wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, dann machen wir Deutschen keine halben Sachen. Wir beseitigen die Schutthalden der Moderne.“
Der Ministerpräsident rief dazu auf, sich an den Demonstrationen zu beteiligen, die in ganz Deutschland stattfinden und in denen sich Menschen zur Demokratie bekennen. So am Wochenende in Kirchheim und Esslingen.
Doch Kretschmanns Rede war nicht der einzige Programmpunkt des Neujahrsempfangs, zu dem nicht nur Parteimitglieder, sondern auch viele Bürger gekommen waren. Die Landtags- und Bundestagsabgeordneten berichteten von ihrer Arbeit in den Parlamenten. So steht für die grün-schwarze Landesregierung die Bildungspolitik im ersten Vierteljahr im Fokus, wie der Fraktionschef der Grünen, Andreas Schwarz, sagte. Denn dass über 20 Prozent der Kinder nicht richtig lesen und schreiben können, wenn sie die Grundschule verlassen, sei fatal. Mit der Stärkung der frühkindlichen Bildung und mit mehr Sprachförderung will man nun dem Defizit auf die Pelle rücken.
Fläche sparen und bezahlten Wohnraum schaffen, wie das gehen soll, erläuterte die Esslinger Abgeordnete und Staatssekretärin im Landesbauministerium, Andrea Lindlohr. Effizienteres Planen und die effizientere Nutzung von Flächen soll das Bauen, den Umbau und die Umnutzung von Gebäuden einfacher machen.
Sebastian Schäfer ist als Mitglied des Haushalts- und des Finanzausschusses im Bundestag hautnah bei den Haushaltsberatungen dabei gewesen. Den Landwirten die Kfz-Steuerbefreiung und die Dieselsubventionen zu streichen, damit habe man überzogen, sagte er und übte Kritik am Vorgehen der Ampel-Regierung: „Im Ländle redet man erst miteinander, bevor man Entscheidungen trifft. Das hätte man im Bund auch machen sollen.“ Vom Tierwohl-Cent über die Umbaumittel für Bauern bis zum Chancenprogramm Hof zählte er aber auch etliche positive Beispiele zur Unterstützung der Landwirtschaft auf.
Und während es Andreas Schwarz „saugeil“ fände, wenn auch im Landkreis Esslingen mal ein Windrad stünde, lobte Matthias Gastel das Deutschlandticket als Erfolg, als Durchbruch für einfache und bezahlbare Mobilität. Mehr Schiene, mehr Bahn, bessere Angebote im ÖPNV wünscht er sich.
Keine Renaissance von G9
Zu Beginn der Veranstaltung schlug Wendlingens Bürgermeister Steffen Weigel einen Bogen von der Welt- zur Kommunalpolitik. Man dürfe große Konversionsprojekte wie das Otto-Quartier und die Neckarspinnerei mitgestalten und habe das größte Holzparkhaus Deutschlands gebaut. Nicht alles jedoch sah er rosarot. So forderte er, die Rahmenbedingungen für den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in Grundschulen noch einmal zu überdenken. Kein Verständnis hat er für eine Renaissance des neunjährigen Gymnasiums. „Dafür haben wir keine Ressourcen“, sagte er mit Blick auf fehlende Lehrkräfte und fehlende Räumlichkeiten.
Mit Fitore Hoxha-Schrantz, Bastian Wolfer und Klaus Pfeiffer stellten sich zudem drei Kandidaten für die Kommunalwahl am 9. Juni vor.