Ein seltenes Naturphänomen konnte Hans-Jürgen Flügel aus Schopfloch fast direkt vor der Haustür bestaunen. Es lag fast buchstäblich vor seinen Füßen im Wald. Um mit dem Hund seiner Tochter einen schönen Spaziergang unternehmen zu können, steuerte er den Höhlenparkplatz bei Krebsstein an. Statt auf dem rutschigen Wanderpfad talabwärts zu marschieren, nahm er den Forstweg.
Irgendwann ist ihm was ins Auge gesprungen, das nicht so aussah, wie der Schnee drumherum. „Als ich dieses Weißes im Wald gesehen habe, dachte ich, da hätte jemand seinen Hund gestriegelt und die Haare liegen hier rum. Mein zweiter Gedanke: Wer macht das mitten im Wald?“, erzählt Hans-Jürgen Flügel. Er nahm das Corpus Delicti genauer unter die Lupe und stellte fest, dass es tatsächlich aussah wie Haare. „Als ich es angefasst habe, ist es sofort an den Händen geschmolzen“, berichtet er.

Zu Hause angekommen, erzählte er seiner Frau Edith von seinem außergewöhnlichen Fund. Zudem war seine Neugier geweckt. Er wollte wissen, was genau es damit auf sich hat. Also hat er nach „weiße Pilze“ gegoogelt. Kein Treffer. „Ich gehe bei solchen Situationen dann immer auf ,Bilder’ – und dann kam irgendwann mal ein Foto mit dem Stichwort Haareis“, erzählt Hans-Jürgen Flügel.
Wikipedia war seine Quelle. Dort ist zu lesen: „Haareis, manchmal auch Eiswolle oder Eishaar genannt, besteht aus feinen Eisnadeln, die sich bei geeigneten Bedingungen auf morschem und feuchtem Totholz bilden können. Anders als Hydrometeore (zum Beispiel Raureifkristalle) entsteht Haareis aus dem im Holz enthaltenen Wasser, nicht aus Luftfeuchtigkeit. Wissenschaftlich ist die Entstehung des nur selten zu beobachtenden Haareises noch wenig erforscht. 1918 beschrieb der Meteorologe Alfred Wegener Haareis auf nassem Totholz. Er vermutete einen „schimmelartigen Pilz“ als Auslöser, was jedoch von anderen Wissenschaftlern angezweifelt wurde . . . Eine biophysikalische Studie von Gerhart Wagner und Christian Mätzler bestätigte 2008 Wegeners Vermutung weitgehend. Demnach wird Haareis durch das Myzel winteraktiver Pilze ausgelöst, deren aerober Stoffwechsel Gase produziert, die das im Holz vorhandene leicht unterkühlte Wasser an die Oberfläche verdrängen. Dort gefriert es und wird durch nachdrängende, beim Austritt aus dem Holz ebenfalls gefrierende Flüssigkeit weitergeschoben. Dies geschieht ausschließlich bei Temperaturen knapp unter dem Gefrierpunkt, wenn das Wasser im Holz noch nicht gefroren ist, es an der geringfügig kälteren Umgebungsluft jedoch gefriert. Eine Randbedingung für die Haareisbildung ist außerdem hohe Luftfeuchtigkeit: Wenn die Luft nicht mit Wasserdampf gesättigt ist, sublimieren die feinen Eiskristalle kurz nach ihrer Bildung an der Holzoberfläche, so dass keine langen Haareiskristalle entstehen können.“

All das traf vor wenigen Tagen auf der Alb zu. „Es hat ein paar Tage zuvor geschneit. Die Temperatur lag bei minus ein Grad und es gab eine hohe Luftfeuchtigkeit, denn es war ein bisschen nebelig. Es hat also alles gestimmt. Das Eis wächst aus den Poren – wie die Haare aus der Kopfhaut. Ich habe das noch nie gesehen", sagt Hans-Jürgen Flügel, der stets aufmerksam durch die Natur läuft. „Ich schaue gerne nach Fossilien und so Sachen“, verrät er. Fasziniert wie er war, nahm er anderntags seine Frau mit auf den Spaziergang, die ebenfalls ins Staunen kam. „Das Ganze war etwa nur eineinhalb Tage zu bestaunen. Dann hat sich das Wetter geändert, es ist kälter geworden. Ich habe das Haareis also genau erwischt“, freut sich der Schopflocher.

Als er seiner Tochter von seiner Beobachtung samt Nachforschung erzählte, war sie wider Erwarten nicht so erstaunt wie der Vater: Sie hat eine Dokumentation über Norwegen gesehen, in der über dieses Naturphänomen berichtet wurde. „Das ist wie mit den Polarlichtern: Bei uns auf der Alb gibt es plötzlich ganz neue Dinge zu sehen. Im Hessischen soll das Haareis auch schon oft aufgetaucht sein“, ergaben seine Recherchen.
