Zwischen Neckar und Alb
„Wir müssen am System rütteln“

Aktion Die Verbindung zwischen Mensch und Natur ins Bewusstsein geholt: „Mobil ohne Auto“ im Tiefenbachtal lockt sehr viele zum sonnigen Ausflug. Dabei gab es auch klare politische Ansagen. Von Peter Dietrich

Vielfalt ist Trumpf: Das begann bei „Mobil ohne Auto“ im Tiefenbachtal schon bei den Fahrrädern. Sie gab es mit und ohne Elektromotor, mit Anhänger und in allen möglichen Spezialausführungen. Zu sehen waren aber außerdem noch Inliner, Skateboards, Segways, Jogger und Spaziergänger. Alle teilten sich den Platz auf der gesperrten Straße.

Der Aktionstag begann mit einem Versprecher: Da hatte die evangelische Pfarrerin Bärbel Brückner-Walter im Gottesdienst im Grünen bei „Gartenbau Hiller“ doch glatt von „Mobil mit dem Auto“ gesprochen. Sogleich wurde sie von den Gottesdienstteilnehmern deutlich korrigiert und entschuldigte sich: „Dort drüben steht mein Fahrrad.“ Dass das ein Versprecher war, wurde im Gottesdienst mehr als deutlich, als Vertreterinnen von „Fridays for Future“ ihre Forderung nach Klimaneutralität im Jahr 2030 unterstrichen.

Auf die ökumenische Feier der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) folgte eine Talk-Runde zum Thema „Nachhaltige Mobilität“, moderiert vom städtischen Klimaschutzmanager Thomas Kleiser. Otmar Braune von der Stiftung Ökowatt und dem „BUND“ verriet, was er tun würde, falls er zaubern könnte: Er beschrieb das wissenschaftlich untersuchte Zukunftsszenario, in dem es in Baden-Württemberg nur noch 15 Prozent der heutigen Autos gibt, alle anderen Mobilitätsbedürfnisse werden anderweitig befriedigt - etwa zu Fuß, mit dem Rad oder dem ÖPNV. „Von allen untersuchten Szenarien funktioniert das am besten. Ich würde alle für ein Jahr in dieses Szenario beamen und danach eine Volksabstimmung machen und die Leute fragen, ob sie wieder zurück wollen. Ich glaube nicht.“ Das aktuelle Klimapaket wäre für Braune „im Jahr 1990 fantastisch gewesen“. Aber für heute sei es „läppisch und zum Heulen“. Professor Dr. Michael Roth von der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt forderte, einen Schritt weiterzudenken: „Wir dürfen nicht nur den Motor austauschen und weiter mit dem Auto mit Massagesitz und Sound ins Fitnessstudio fahren. Wir müssen am System rütteln.“

Andreas Neureuther, Technischer Beigeordneter der Stadt Nürtingen, freut sich über den Zuspruch beim Stadtradeln: „Wir sind schon bei rund 104 000 Kilometern, das ist ein gewaltiger Sprung gegenüber dem Vorjahr. Davon geht eine Botschaft aus.“

Von Esslingen bis ins Tiefenbachtal

Volkmar Klaußer, Leiter der Stadtwerke Nürtingen, stellte klar, seine Vision beim Elektroauto sei keine „von null auf Hundert in zwei Sekunden“. Es brauche kleine Fahrzeuge, die noch gar nicht auf dem Markt seien. Helmut Hartmann als Vertreter des Stadtseniorenrates forderte ein Stadtticket für Nürtingen und mahnte, den Wandel bei den Arbeitsplätzen sozial abzufedern. Inka Margies von „Fridays for Future“ kritisierte das Klimapaket als zu langsam. „Wir müssen 60 Prozent Energie einsparen, und der Rest muss aus erneuerbaren Energien kommen.“

Sogar aus Esslingen waren manche Radler ins Tiefenbachtal gekommen, eine Fünfergruppe von Senioren hatte sich dazu rund zweieinhalb Stunden Zeit gelassen. Auf Begeisterung stieß das Konferenzrad, mit dem eine ganze Gruppe radeln und gleichzeitig reden kann.

Um am Nachmittag dem Shut­tlebus zum Freilichtmuseum Platz zu lassen, wurde das Bergzeitfahren auf 12.15 Uhr vorverlegt - es lockte Radler vom Jahrgang 1941 bis zum Jahrgang 2005 an. Und es wurde sogar die bisherige Rekordzeit gebrochen. Simon Stahr legte die 3,1 Kilometer und 100 Höhenmeter in 5:41 Minuten zurück. Schnellste Frau war Barbara Alber mit 7:05 Minuten.