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„Wir sind nicht wie Fähnchen im Wind“

Unterstützung Mit der „Leuchtlinie“ aus der Opferrolle heraus: Wer aufgrund seiner Hautfarbe, Religion oder Nationalität angefeindet wird, findet in der Kirchheimer Beratungsstelle für rechte Gewalt Hilfe. Von Melissa Seitz

Wenn Jutta Ziller, die Leiterin der Kirchheimer Linde, an rechte Gewalt denkt, kommt ihr ein ganz konkretes Beispiel in den Sinn: „Vor zwei Jahren kam eine türkische Mutter in die Linde und erzählte mir ganz geschockt, dass ihrer Tochter das Kopftuch runtergerissen wurde.“ Jutta Ziller setzte sich mit der Frau zusammen und versuchte, zu helfen. Die Leiterin des Mehrgenerationenhauses kennt sich mit Opfern von rechter Gewalt aus - genau so wie alle Mitarbeiter des Mehrgenerationenhauses. Perfekte Voraussetzungen für die erste baden-württembergische Anlaufstelle der „Leuchtlinie“.

Die „Leuchtlinie“ ist eine landesweite Hilfseinrichtung für Opfer von rechter Gewalt. Die Organisation wurde von der Türkischen Gemeinde in Baden-Württemberg (tgbw) ins Leben gerufen. „Befürchten Sie nicht, dass es heißt, Sie als Migrantenverein können es sich nicht rausnehmen, den Deutschen einen Spiegel vorzuhalten?“, fragt Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker in einem Pressegespräch. Gökay Sofuoglu, Landesvorsitzender der „tgbw“, ist sich dieser Kritik bewusst: „Wir haben schon viele solche Zuschriften bekommen, doch wir Türken gehören auch zu Deutschland.“ Jeder in diesem Land müsse sich mit dem Thema „rechte Gewalt“ auseinander setzten, auch Migranten.

Doch bei „Leuchtlinie“ geht es nicht um politisches Denken, sondern um Menschen, verdeutlicht Werner Schulz, Pressesprecher der Türkischen Gemeinde in Baden-Württemberg. „Ich bin noch nie einem Opfer von rechter Gewalt begegnet, aber ich kann mir vorstellen, dass es sehr schwierig sein muss, mit so einer Erfahrung umzugehen“, sagt Kirchheims Oberbürgermeisterin. Wie grausam solche Erlebnisse wirklich sein können, verdeutlicht ein Beispiel: „Ein Mann wurde von einem Nachbarn mit seinem Hund bis nach Hause verfolgt und hat auf sein Auto gespuckt“, schildert Werner Schulz.

Irgendwann ist es zu viel

Solche Fälle sind meistens ein weiterer Punkt auf einer langen Liste von Diskriminierungen und rechter Gewalt. Der gebürtige Kirchheimer Heval Demirdögen ist der Leiter der „Leuchtlinie“. Er weiß, wie viel Leid die Opfer meistens schon erlebt haben. „Doch irgendwann ist ein Ende erreicht, und genau da muss die Beratungsstelle ins Spiel kommen“, erklärt Heval Demirdögen.

Was die Opfer brauchen, ist jemanden zum Zuhören. „Die Geschichte müssen nicht mal unbedingt wahr sein,“ erzählt Jutta Ziller, „aber es geht darum, dass man für die Menschen da ist.“ Denn selbst hinter einer Lüge stecken manchmal tiefere Probleme. Bei dem Versuch, sich Freunden oder Verwandten zu öffnen, treffen viele auf Beschuldigungen. „Es heißt dann: Du bist doch selbst Schuld. Du hast einen kurzen Rock getragen“, weiß die Leiterin der Linde. Das Erlebte wird dann oft herabgesetzt, und die Betroffenen fühlen sich noch mehr in die Opferrolle gedrängt.

Jutta Ziller ist sich bewusst, dass auch die Linde zur Zielscheibe von rechter Gewalt werden kann. „Wir knicken hier nicht ein, wir sind nicht wie Fähnchen im Wind“, sagt sie. Egal wann, egal wie, die Mitarbeiter sind immer erreichbar - per E-Mail, Telefon oder persönlich.

20 weitere Beratungsstellen sollen in Baden-Württemberg folgen - wo und wann ist noch unklar. Sicher ist aber, dass die „Leuchtlinie“ in Kirchheim ein wichtiger Schritt gegen rechte Gewalt ist.

Info Hilfe finden Betroffene direkt bei der „Leuchtlinie“ unter der Nummer 07 11/88 89 99 33 oder per Mail an kontakt@leuchtlinie.de. Wer einen Ansprechpartner direkt in Kirchheim sucht, kann sich bei der Linde unter der Nummer 0 70 21/4 44 11 melden oder unter der Mail-Adresse mail@linde-kirchheim.de.