Quelle: Carsten Riedl
Noch gilt er als junger Politiker, und doch kann der 44-jährige Sozialdemokrat schon auf enorme politische Erfahrung verweisen: „Nach zwanzig Jahren Arbeit im baden-württembergischen Landtag reizt mich jetzt die Aufgabenvielfalt in Berlin“, sagt Dr. Nils Schmid. Unter Grün-Rot war er Wirtschafts- und Finanzminister im Land, jetzt ist er kunst- und kulturpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Im Bundestag spielen Wirtschafts- und Sozialthemen naturgemäß eine größere Rolle als kulturpolitische. Welche Rolle dabei seine werden könnte, darüber hält sich der Mann, der mit Listenplatz 6 ein sicheres Berlin-Ticket haben dürfte, ebenso bedeckt wie über Koalitionsprognosen: „Verhandelt wird nach der Wahl“, winkt er ab, räumt aber doch ein, dass Rot-Rot-Grün mindestens „extrem schwierig“ werden würde. Haupthindernis aus seiner Sicht: die außenpolitische Einstellung der Linken. Für den SPD-Spitzenkandidaten Martin Schulz sieht Schmid eine große Chance darin, ein unverbrauchter und dennoch profilierter Kopf zu sein: „Wir haben uns bewusst für einen Kandidaten entschieden, der außerhalb der Regierung steht und die Erfolge der SPD repräsentiert“, lobt er den überzeugten Europäer Schulz. Der zeige auch mal klar Kante gegenüber Merkel. Dies will Schmid im Fernsehduell beobachtet haben, beispielsweise beim Thema Erdogan.
Mit der Türkei kennt sich der Schwabe aus. Als Landesminister war er mehrfach dort, zuletzt 2015. Zudem ist seine Frau türkischstämmig. „Wir müssen gegenüber der türkischen Regierung klarmachen, dass es Grenzen gibt“, sieht er sich in der Pflicht, täglich die Demokratie „zu verteidigen beziehungsweise zu erkämpfen“. Das ist für ihn ein wichtiger Grundsatz, fürchtet er doch, dass demokratische Staaten in den nächsten Jahren mehr und mehr mit „der Faszination des Autoritären“ zu ringen haben werden. Gerade im Falle der Türkei setzten - und hofften - die Menschen in den Großstädten und in touristischen Gebieten ganz stark auf Europa, wie Schmid aus eigener Erfahrung weiß.
Deutliche Unterschiede zur CDU erkennt der hiesige SPD-Kandidat auch beim Thema Rente: „Einig sind wir uns da nur in dem Punkt, dass es die Rente mit 70 nicht geben darf.“ Ziel der SPD sei, das Rentenniveau zu stabilisieren. Auch die Selbstständigen, die bisher auf eigene Faust vorsorgen, sollen künftig in das System eingebunden werden. Dadurch steigt die Zahl der Beitragszahler. Im Gegensatz zu diesen konkreten Vorschlägen setze die CDU auf Abwarten, kann sich Schmid einen Seitenhieb nicht verkneifen.
Der Ex-Minister ist keiner, der leere Versprechungen macht, und so stellt er klar, dass kaum Spielraum für Steuersenkungen oder Schuldensenkung besteht. Denn in mindestens drei Bereiche müsse stark investiert werden, um Wohlstand und Wachstum im Land langfristig zu erhalten: Bildung, Digitalisierung und Infrastruktur. Als Landespolitiker empfindet er es als richtig, dass „die Länder inhaltlich um den besten Weg in Sachen Bildung ringen“. Ebenso befürwortet er aber die bestehende Zuständigkeit des Bundes für die Ausstattung von Schulen. Investitionen in die Bildungsinfrastruktur hält der Vater zweier Kinder für enorm wichtig. Gleichzeitig nennt er als sein Ziel, eine Ganztagsgarantie für die Betreuung von Kindern vom Eintritt in den Kindergarten bis zum letzten Schultag zu geben. Mehr Chancengleichheit und gleichzeitig eine spürbare Entlastung für die Eltern soll die komplette Abschaffung von Kindergartengebühren bringen.
„Wir haben einen riesen Sanierungsstau bei Straßen und Schienen“, stellt Schmid speziell für das Land fest. In der Regierungsverantwortung habe seine Partei seinerzeit ein großes Sanierungsprogramm bewirkt und 100 Millionen Euro bereitgestellt, vor allem für Straßen: „Da muss man weitermachen.“ Selbstverständlich müsse auch der ÖPNV gefördert werden: „Anders bekommen wir keine Entspannung in den Ballungsräumen hin.“ In seinem Wahlkreis lobt er, dass die Bahn immerhin bis Lenningen beziehungsweise Neuffen fährt. Doch natürlich müsse das Busnetz verbessert und das Tarifsystem des VVS vereinfacht werden - ganz zu schweigen von den zu hohen Preisen.
Von Fahrverboten will der SPD-Mann, der im sportlichen Passat zum Treffpunkt kommt, nichts wissen: „Im Geburtsland des Autos müssen wir jetzt den Wandel zur emissionsfreien Mobilität schaffen“, betont er und wehrt sich dagegen, den Diesel pauschal zu verteufeln. Einstweilen will er sich dafür einsetzen, die Fuhrparks von Taxi- oder Busunternehmen und Handwerkerflotten schnell zu ersetzen, sodass die Emissionen gesenkt werden. „Da kriegen wir auch ohne Fahrverbot viel hin“, zeigt er sich zuversichtlich und zieht als Lehre aus dem Dieselskandal, sich künftig mit noch mehr Gutachten gegenüber Versprechen der Industrie abzusichern. - Nicht zuletzt zum Wohle und im Dienste des Bürgers.