Zwischen Neckar und Alb
„Wir wurden im Stich gelassen“

Brand Die Opfer des Feuers in den Häusern der Nürtinger Schafstraße stehen vor dem Nichts. In beiden Gebäuden sollen vor allem Menschen gelebt haben, die Sozialhilfe oder Hartz IV bekommen. Von Matthäus Klemke

Oliver Greiner hat die Mütze tief ins Gesicht gezogen, seine Arme sind verschränkt, der Blick geht ins Leere. „Die Nacht war wieder kurz. Seit dem Feuer schlafe ich kaum noch.“ Albträume plagen den Mann, der fünf Monate in der Schafstraße 2 und anschließend drei Monate im Nachbarhaus, in der Schafstraße 4, gewohnt hat. Beide Häuser standen vor fast vier Wochen in Flammen. Zwei Menschen sind bei dem ersten Brand in der Schafstraße 2 ums Leben gekommen. „Ich war vom Feuer eingeschlossen in meinem Zimmer“, erinnert sich der 48-Jährige. Die Flucht gelang ihm durchs Fenster. „Aus sieben Metern Höhe musste ich runterklettern.“

Noch immer steht die Brandursache nicht fest. Zahlreiche Hinweise deuten auf eine völlige Überbelegung beider Gebäude und einen miserablen Zustand der Wohnungen hin. Brandmelder sollen nicht vorhanden gewesen sein, auch soll es Zimmer ohne Fenster gegeben haben. Eine Sonderkommission der Polizei ermittelt.

„Sechs Mal musste ich jetzt schon bei der Polizei aussagen“, sagt der 48-Jährige. „Heute hätte ich eigentlich wieder hingemusst, aber ich kann einfach nicht mehr.“ Warum es in beiden Häusern gebrannt hat, scheint für Oliver ­Greiner nicht mehr wichtig zu sein. Für ihn zählt vor allem, wie es für ihn und die anderen Hausbewohner weitergehen soll. „Die Leute stehen vor dem Nichts“, sagt er und schüttelt den Kopf.

In beiden Gebäuden sollen vor allem Menschen gelebt haben, die Sozialhilfe oder Hartz IV bekommen. So auch Oliver Greiner: „Ich habe 28 Jahre gearbeitet und wurde dann schwer krank. Ich habe meinen Job verloren und bin so in Hartz IV reingerutscht.“ Auf dem Wohnungsmarkt hätten Menschen wie er keine Chance. Da bleibe einem nicht viel anderes übrig, als in ein Haus wie in der Schafstraße zu ziehen.

Nach Angaben der Stadt Nürtingen habe man den Betroffenen sofort geholfen: 31 Bewohner wurden „vorübergehend in Obdach­losenunterkünften untergebracht“, heißt es auf der Internetseite der Stadt. Außerdem sollen die Menschen Lebensmittelpakete, Kleidung und Hygieneartikel bekommen haben. Mitarbeiter des Sozia­len Dienstes sollen „für weitere Betreuung zur Verfügung stehen“ und bei der Wohnungssuche helfen. Das Jobcenter sei informiert, „sodass von dort finanzierte Soforthilfemaßnahmen eingeleitet werden können“. Außerdem wurde kurz nach dem Brand ein Spendenkonto eingerichtet. „Einfach lächerlich“, sagt Oliver Greiner. Er fühlt sich von der Stadt „massiv im Stich gelassen“. Zwar habe es am Anfang Hilfe in Form von Lebensmittelpaketen und einer Kleiderspende vom DRK gegeben, viel mehr sei seitdem aber nicht passiert. „Wir brauchen in erster Linie finanzielle Hilfe und einen Wohnraum. Was wir im Feuer verloren haben, erstattet uns niemand.“

Soforthilfe wird wieder abgezogen

Eine finanzielle Soforthilfe habe es in Form von 100 Euro vom Jobcenter gegeben. „Die wird mir aber im nächsten Monat wieder von meinem Hartz-IV-Betrag abgezogen“, sagt Greiner. Seit er seine Wohnung verloren hat, muss er jeden Tag mit dem Bus zur Arbeit bei der Schwäbischen Tafel fahren. „Da bleibt am Ende nicht viel übrig von dem Geld.“ Und was ist mit der finanziellen Hilfe aus dem Spendenkonto? „Welches Spendenkonto?“, fragt Greiner verwundert. Bis heute hätten weder er noch andere Opfer Spenden erhalten.

Zusammen mit zwei anderen Bewohnern aus der Schafstraße wurde Oliver Greiner in der Obdachlosenunterkunft in Reudern untergebracht. „Ich will hier einfach nur raus“, sagt er und berichtet von untragbaren Zuständen. Sein Zimmer sei rund sechs Quadratmeter groß, die Dusche im Gemeinschafts-Badezimmer sei unbenutzbar. Ob es wenigstens hier Brandmelder gibt? „Zumindest im Hausflur scheint einer zu sein. Der ging neulich los.“ Was zunächst eine kurze Zwischenstation sein sollte, scheint nun zur Dauerlösung zu werden, befürchtet er: „Heute hat man mir im Rathaus gesagt, dass die Stadt keine andere Unterkunft für uns in Aussicht hat.“ Dass man in Deutschland in eine solche Situation geraten kann, hätte er nicht gedacht: „Hier gibt es so viele Sozialvereine. Wieso hilft uns denn keiner? Niemand fühlt sich für uns verantwortlich.“

Rechtsanwalt Manuel Schwarz vertritt eine Frau, die bei dem Brand im ersten Haus ihren Ehemann verloren hat. Von ihm wollen wir wissen, ob seine Mandantin finanzielle Unterstützung erhalten habe. „Das Einzige, was sie bekommen hat, ist eine hohe Rechnung vom Bestattungsunternehmen“, so Schwarz. Die Frau sei finanziell am Ende. „Nach dem Verlust ihres Mannes musste sie sich krank melden und hat so auch ihre Arbeit verloren.“ Allerdings habe ihr die Wohnungsverwaltung 50 Euro als eine Art Entschädigung für ihren Verlust geboten. „Das hat meine Mandantin als Beleidigung gesehen und abgelehnt“, sagt Manuel Schwarz.