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Wird dem Müller das Wasser abgegraben?

Energie Bis 1900 wurde die Hochdorfer Zinßer-Mühle allein durch Wasserkraft betrieben. Noch heute wird die Energie genutzt. Damit könnte aber bald Schluss sein. Von Katja Eisenhardt

Direkt am Talbach liegt die Mühle, die 1524 erstmals urkundlich erwähnt wurde. Ebenso lange bestehen laut Jürgen Zinßer das Wehr rund 300 Meter bachaufwärts und der Mühlkanal: „Die Wasserkraft wird bei uns nicht erst in Strom umgewandelt, sondern direkt ohne Verluste über die Wasserturbine als mechanische Energie für den Betrieb der Maschinen eingespeist. Durch diese zusätzliche Ener­giequelle kann ich elektrischen Strom einsparen, dessen Einkauf aktuell immer teurer wird.“

Die Wasserkraft nutzt der Müller fürs Mahlen: „Da geht es um fünf Prozent oder mehr von jährlich mehreren Zehntausend benötigten Kilowattstunden. Das klingt erst mal nicht nach viel. Bei der aktuellen Strompreisentwicklung braucht es aber jedes zusätzlich gewonnene Kilowatt.“ Seit 2005 bezieht er als Hauptenergiequelle Ökostrom. Aufgrund des Ukraine-Kriegs steigen die Kosten dafür. Jetzt droht ihm der Wegfall der Wasserkraft und der möglicherweise damit verbundene Rückbau des Wehrs bis 2024. Der Status quo: Basierend auf der EU-Wasserrahmenrichtlinie, die europaweit bis 2027 eine ökologische Verbesserung der Gewässer anstrebt, ist Zinßer als Wehrbetreiber seitens der Unteren Wasserrechtsbehörde des Esslinger Landratsamts dazu aufgefordert, eine bessere Durchgängigkeit des Bachs am Wehr herzustellen, damit die Fische und Kleinlebewesen wandern können.

Ein Thema, das dem Müller Kopfzerbrechen bereitet: „Für eine Höhenangleichung des Bachlaufs beim Wehr gibt es derzeit nur eine Vorplanung für den Bau einer Rampe. Für mich müsste dafür im Umkehrschluss auch das Wehr verschwinden, damit das funktioniert. Die Gesamtkosten von 100 000 Euro aufwärts müsste ich tragen.“ Würde er erst noch ein ökologisches Gutachten erstellen lassen, sei das ebenfalls sehr teuer: „Beides wäre für uns das wirtschaftliche Aus.“ Durch die Corona-Krise und den Ukraine-Krieg seien die Reserven aufgebraucht, sagt Jürgen Zinßer. Die Gemeinde Hochdorf, zu deren Projekten eine Renaturierung des Talbachs zählt, hatte ein Fachbüro beauftragt, das den Rampenvorschlag für den Wehrumbau lieferte. „Der Umbau hätte zur Folge, dass nicht mehr genügend Wasser im Mühlkanal landet“, so Ortsbaumeis­ter Helge Kerner. Jürgen Zinßer könnte die Wasserkraft nicht mehr nutzen. Auch die Überlegung zur Rückgabe des Mühlrechts an die Gemeinde sei aufgekommen, so Kerner, dann könnte diese etwa mit einer Teilrefinanzierung über Ökopunkte die Wehranlage selbst umbauen. Einen Nutzen hätte Zinßer von der Wasserkraft aber dann ebenso nicht mehr.

„Ich habe absolut nichts gegen eine ökologische Aufwertung, aber die Vorgaben müssen verhältnismäßig und für Betriebe wie uns stemmbar sein“, sagt der Müller. Auf einen möglichen Kompromiss angesprochen, erklärt die Landkreissprecherin Andrea Wangner, Aufgabe der Wasserrechtsbehörde sei es, die ihr vorgelegten Planungen zu beraten und gegebenenfalls zu genehmigen. „Allgemein gibt es verschiedene technische Varianten für einen Umbau. Neben einer Rampe zum Beispiel einen Fischpass oder eine Umgehungsrinne. Das hängt von den lokalen Begebenheiten ab, was funktioniert. So gut wie immer können die Wasserkraftanlagen auch nach Herstellung der Durchgängigkeit mit geringen Ertragseinbußen weiterbetrieben werden“, sagt Wangner.

Für eine alternative Bauvariante in Hochdorf müssten der Behörde weitere Vorschläge zur Prüfung vorgelegt werden. „Diese müsste der Wehrbetreiber beauftragen, gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit der Gemeinde“, betont Wangner. Zur Lösungsfindung schlägt das Rathaus Hochdorf einen erneuten Ortstermin mit Müller, Gemeinde und Fachplaner sowie Vertretern des Landratsamts vor.

Hans-Dieter Heilig, Vorsitzender der Interessengemeinschaft Wasserkraft Baden-Württemberg, erklärt, dass die Durchgängigkeit des Talbachs per se etwas erschwert wird. „Nicht die Wasserkraftnutzung ist ein Problem, sondern der Zustand der Gewässer, deren Morphologie“, so der Experte. Gebe es Defizite, wähle man für eine Veränderung aber oft das schwächste Glied aus, und das sei die Wasserkraft: „Da ist das Beispiel der Hochdorfer Mühle kein Einzelfall.“

In diesen Zeiten brauche es die Wasserkraft. „Gerade die kleinen Wasserkraftwerke tragen zur Stabilisierung der Netze und der sinnvollen Dezentralisierung der Stromerzeugung bei. Man braucht wirklich jedes Kilowatt“, betont Heilig. „In der Schweiz werden notwendige Umbauten von Wasserkraftwerken vom Staat finanziert. Da könnte man auch hierzulande darüber nachdenken.“ Schließlich wolle man die Energiewende, und gerade die Wasserkraft sei unter den erneuerbaren Energiequellen die vom Ertrag her am besten kalkulierbare. „Die Vorgaben müssen mach- und bezahlbar sein. Es braucht einen Kompromiss.“ Ein gelungenes Beispiel einer neu gebauten Wasserkraftanlage am Fluss Neumagen im Münstertal zeige, dass gleichzeitig eine nachhaltige Stromerzeugung und eine verbesserte Gewässerökologie möglich sei: „Man könnte also in Hochdorf über einen weniger kostenintensiven baulichen Eingriff nachdenken.“

 

Die Mühle und die Zwickmühle

Richtlinie Seit Dezember 2000 hat die Europäische Union ein einheitliches Wasserrecht, die Europäische Wasserrahmenrichtlinie (EG-WRRL). Die Umsetzung in Baden-Württemberg erfolgte mit der Änderung des Wassergesetzes im Dezember 2003. Die WRRL verfolgt das Ziel, bis 2027 den guten ökologischen und chemischen Zustand der europäischen Gewässer zu erhalten oder wiederherzustellen.

Mühle 1524 wurde die Hochdorfer Zinßer-Mühle erstmals urkundlich erwähnt und ist somit der älteste Betrieb in Hochdorf. Seit 1857 ist die Mühle im Eigentum der Familie Zinßer. In der mittlerweile 13. Generation werden in der Zinßer-Mühle lokale Produkte erzeugt und verkauft. eis