Der stolze Jaguar hat ordentlich Federn gelassen. Die imposanten Reißzähne sind nunmehr angeklebte Stumpen, Furchen ziehen sich über sein aufgerissenes Maul, und auf der braunen Nase prangt ein großer weißer Fleck. Ja, das Leid der Raubkatze ist unübersehbar. Die Figur ist ihrem Besitzer offenbar auf den Boden gefallen und wurde, so gut es eben ging, zusammengeflickt. Befriedigend ist das Ergebnis nicht. Jetzt soll es Detlef Weik richten. Der betreibt seit bald 20 Jahren seine Porzellanwerkstatt in Ostfildern-Kemnat. Bei „Die Scherbe“ ist der Name Programm.
Pferdchen ohne Beine, geborstene Lampen und Kuchenteller, Meißner Kostbarkeiten und Nippes vom Flohmarkt - die Trümmer unterschiedlichster Objekte lagern in den vollen Regalen des kleinen Betriebs. „Man kann alles reparieren“, sagt Detlef Weik, „aber es ist eine Frage des Aufwandes und letztlich auch des Geldes.“ Einen abgeschlagenen Henkel könne er mitunter für 20 Euro heil machen. Bei Großprojekten, etwa den alten Ofenkacheln, die er aktuell Stück für Stück restauriert, komme man rasch in den Bereich eines Kleinwagens. Nicht immer stehen der finanzielle Aufwand und der tatsächliche Wert im Verhältnis. Häufig ist das aber zweitrangig.
„Der ideelle Wert ist oft ausschlaggebend“, sagt Detlef Weik. Dementsprechend sei die Kundschaft bunt gemischt, „vom superreichen Unternehmer bis zur armen Omi, die eine Tasse bringt“. Und längst geht es nicht nur um Keramik. Auch bei Glas oder Pappmaschee setzen die Kunden Hoffnung in die Künste des Geschirrdoktors. „Die Leute kommen auch mit einem Bügeleisen zu mir“, sagt er lachend. Mit seiner Arbeit besetzt der Sillenbucher eine Nische. Nur von zwei weiteren Kollegen in Süddeutschland weiß er. Weik ist eigentlich Zahntechniker, hat das filigrane Arbeiten mit Porzellan also gelernt. Das Wissen über Antiquitäten hat er sich angeeignet. „Bei billigen Sachen kann es sein, dass die Farben nicht stabil sind und sich beim Brennen verändern“, erklärt er. Sicherheit geht bei „Die Scherbe“ vor, betont der Inhaber. In die Arbeitsräume kommt kein Besen, zu leicht könnte er umkippen und etwas mitreißen. Auch sind die vier freiberuflichen Mitarbeiter angehalten, nie zwei Stücke gleichzeitig zu tragen.
Manchmal geht es neben zerbrochenen Vasen auch um gebrochene Herzen. „Ich hatte schon eine Frau hier, die anderthalb Stunden lang anhand ihrer Tasse über ihr Leben geredet hat. Da muss man einfühlsam sein.“ Auch echte Ehekrisen habe er schon in seiner Werkstatt erlebt, wenn der eine des anderen Sammlerstück ruiniert hat. „Wenn ich eine Lösung präsentiere, ist das Problem oft schon weg“, sagt er lächelnd. Was der Experte empfiehlt, wenn man Tantchens Obstschale zerdeppert hat? Lieber nicht selbst Hand anlegen. „Kleben ist ganz schlecht“, sagt er. Zwar könne man Klebstoffe im Ofen wieder lösen, nicht selten blieben aber Verfärbungen. Stattdessen solle man die Scherben möglichst vollständig und einzeln in Zeitungspapier oder Küchenrolle packen und zum Experten bringen.
Der verteilt zunächst keramische Glasur auf den Bruchkanten und setzt die Einzelteile zusammen. Danach wird das Stück im Ofen bei mehr als 800 Grad gebrannt. Aufheizen und Abkühlen bedeutet eine viertägige Prozedur. Der eigentliche Brennvorgang, bei dem die Glasur einschmilzt und die Teile geschirrspülsicher zusammenschweißt, dauert nur zehn Minuten. Zum Schluss geht es bei Bedarf noch in den Farbraum. Dort wird entweder per Pinsel oder Airbrush-Pistole nachgearbeitet. „Ich habe lange Durchlaufzeiten“, betont der 59-Jährige. „Wir haben Stücke, die sind ein Jahr da und noch nicht fertig.“ Gut Ding will eben Weile haben, und Detlef Weik ist einer, den das Puzzeln reizt. „Es ist fast schon meditativ, und dann ist da das Erfolgserlebnis, wenn man etwas aussichtslos Erscheinendes macht und der Kunde sagt: Wow!“