Vor einer Woche erst hatte Mercedes-Benz Trucks den ersten Lkw für den Fernverkehr mit reinem Elektroantrieb vorgestellt. Am Donnerstag konnte das Fahrzeug auf dem Hof der Nürtinger Stadthalle begutachtet werden. Begleitend zum Branchengipfel der Automobilwirtschaft gab es dort wieder eine Ausstellung mit den neuesten, überwiegend elektrischen Modellen der bei dem Kongress vertretenen Hersteller. Vom Ein-Liter-XL1-Hybrid von VW bis zum vollelektrischen Ford Mustang Mach-E reichte die Palette. Mit Nio und MG waren auch chinesische Marken vertreten.
Während draußen die noblen Karossen um die Wette blitzten, ging es drinnen um die Zukunft der Automobilbranche. Wie immer, wenn das Team des Instituts für Automobilwirtschaft (IfA) an der Nürtinger Hochschule für Wirtschaft und Umwelt um Studiendekan Stefan Reindl und Professor Benedikt Maier zum Branchengipfel einlädt, sind hochkarätige Vertreter der Zunft in Nürtingen zu Gast. Beleg für den guten Ruf, den die jährliche Veranstaltung genießt, die heuer zum 24. Mal über die Bühne ging. Unter anderem standen die Deutschlandchefs von Hyundai, Renault, Volkswagen, Opel und BMW sowie der Skoda-Vorstandsvorsitzende auf der Rednerliste. Auch führende Köpfe chinesischer Hersteller waren vertreten.
Die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Automobilwirtschaft ist offensichtlich in Gefahr, sagte Stefan Reindl in seinen einleitenden Worten vor den rund 500 Gästen im Saal und weiteren rund 70 Teilnehmern online. Die Absatzzahlen schwächelten, zusätzlich seien die Unternehmen konfrontiert mit hohen Energiekosten, Arbeitskräftemangel sowie ausufernder Bürokratie. Hinzu komme die Inflation im heimischen Markt. Nationale Subventionswettläufe und Protektionismus in relevanten Absatz- und Beschaffungsregionen veränderten die Rahmenbedingungen ebenso wie die globalen Bestrebungen neuer Wettbewerber. Dies alles, so Reindl, treffe die Automobilwirtschaft in einer Zeit des Umbruchs und der Transformation.
Wenig bewege sich aber bei den politischen Rahmenbedingungen für eine internationale Wettbewerbsfähigkeit, kritisierte die VDA-Präsidentin Hildegard Müller. „Mit Abwehrinstrumenten zu reagieren, kann nicht die Lösung sein für ein Land, das exportabhängig ist“, sagt sie. Arne Joswig, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Kraftfahrzeuggewerbes (ZDK), ist optimistisch, dass die Dinge, die man hier reklamiere, in Berlin auch ankämen. „Wir sind viele und wir können ganz viel“, sagte er.
Bei der Frage der Antriebstechnologie liege der Fokus klar auf Elektro, waren sich beide Präsidenten einig. Auch für E-Fuels werde es einen Markt geben, so Joswig. Die Politik habe deren Bedeutung aber zehn Jahre lang verschlafen. Der ZDK-Präsident plädierte für neue Ideen, um die Menschen von der Elektromobilität zu überzeugen: Zum Beispiel könne man jedem Bürger die Möglichkeit zu einer Probefahrt geben. Müller sagte, man müsse den Umstieg auf Elektromobilität so leicht wie möglich machen: „Ich befürchte nur, dass unsere Stromnetze für diesen Bedarf nicht ausgelegt sind.“
Auch für Martin Daum, den Vorstandsvorsitzenden der Daimler-Nutzfahrzeugsparte, ist Letzteres ein ganz entscheidendes Kriterium. Lkw stünden beim Thema E-Mobilität zu Unrecht meist nicht im Fokus, sagte Daum. Wegen der fehlenden Infrastruktur werde auch grüner Wasserstoff eine Rolle bei Nutzfahrzeugen spielen. Von Stefan Reindl auf die deutlich geringere Effizienz der Brennstoffzelle gegenüber batterieelektrischen Antrieben angesprochen, sagte Daum, dies sei aus seiner Sicht nicht so entscheidend, „weil nicht gespeicherte regenerative Energie sonst wirkungslos verpufft“. Für Martin Daum eine ganz einfache Rechnung: „Wir müssen die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien vervielfachen. Das bekommen wir nicht ausreichend hin. Also müssen wir den Strom importieren. Und dann sind wir beim Wasserstoff als Energiespeicher.“