Zwischen Neckar und Alb
Wofür stehen Jugendliche heute?

Bildung Die Juristin und Sängerin Anette Heiter und der Komponist und Musikpädagoge Patrick Bach haben für Schulen ein Musical über den Stuttgarter Nazi-Jäger Fritz Bauer entwickelt. Von Alexander Maier

Wenn von Musicals die Rede ist, denken viele an „König der Löwen“ oder „Starlight Express“. Dass sich auch schwierigere Stoffe fürs Musiktheater eignen können, wollen der Komponist Patrick Bach und die Sängerin und Juristin Anette Heiter beweisen. Gemeinsam haben sie ein Musical über den Stuttgarter Juristen Fritz Bauer geschaffen. Bauer musste als Sozialdemokrat und Jude vor den Nazis ins Exil fliehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kämpfte er beharrlich dafür, dass die NS-Täter zur Rechenschaft gezogen wurden. Dafür bekam er heftige Anfeindungen zu spüren: „Wenn ich mein Zimmer verlasse, betrete ich Feindesland.“ Anette Heiter und Patrick Bach sind überzeugt, dass dieser Stoff gerade für junge Menschen interessant sein kann.

Künstlerische Herausforderungen sind für Bach und Heiter nichts Neues. Neben ihrer langjährigen Arbeit als Amtsrichterin stand die Sängerin und Kabarettis­tin, die in Plochingen aufgewachsen ist, in unterschiedlichsten Besetzungen auf der Bühne. Patrick Bach leitet derweil neben der Arbeit als Schulmusiker verschiedene Gesangsensembles – und er hat fürs SWR-Fernsehen mit der Serie „Bach – Auch Du kannst singen“ ein ungewöhnliches Format entwickelt: Der Chorleiter wurde jedes Mal an einen anderen Ort geschickt, wo er binnen einer Woche ein stimmgewaltiges Ensemble gründen musste. Dafür gab es den Bremer Fernsehpreis.

 

„Es tut gut, bei schweren Fragen mal eine andere Perspektive einzunehmen.
Patrick Bach
Der Komponist über die Idee, historische Persönlichkeiten zur Vorlage für ein Schulmusical zu machen
 

Den Gedanken, eine historische Persönlichkeit zur Vorlage für ein Schulmusical zu machen, hat Patrick Bach 2019 bereits mit Erfolg erprobt: Damals entwickelte er ein Theatermusical über Marie Juchacz, die Gründerin der Arbeiterwohlfahrt, die 1919 als erste Frau in der Weimarer Nationalversammlung eine Rede hielt. „Es tut gut, bei großen, schweren Fragen mal eine andere Perspektive einzunehmen. Aspekte wie Gleichberechtigung oder Arbeiterrechte betreffen auch die junge Generation von heute.“ Ein befreundeter Lehrerkollege machte Patrick Bach auf Fritz Bauer aufmerksam, der Amtsrichter in Stuttgart war – genau wie es Anette Heiter war. Und weil Bach lange Jahre mit der Sängerin und Entertainerin auf der Bühne gestanden hatte, nahm er sie mit ins Boot: „Ich kann komponieren, Anette ist als Texterin sehr stark – das passt.“

Der beginnende Lockdown vor einem Jahr gab beiden Zeit und Muße, um kreativ zu werden. Je intensiver sie sich mit Fritz Bauer und seiner Lebensgeschichte befassten, desto klarer wurde ihnen: „Er war eine faszinierende Persönlichkeit.“ Im Brennspiegel von Bauers Lebensgeschichte werde vieles nachvollziehbarer: ein brillanter Jurist, der aus seiner Heimat fliehen musste, nur weil er Sozialdemokrat und Jude war. Und der hoffte, dass man ihm anderswo Zuflucht gewährt.

„Darüber sollten Jugendliche heute nachdenken“, findet Anette Heiter. „Genau wie über die Tatsache, dass man Fritz Bauer nach dem Krieg wegen seiner Homosexualität angriff, um ihn davon abzuhalten, dass er die Verfolgung der NS-Straftäter vorantreibt. Das zeigt, weshalb richterliche Unabhängigkeit so wichtig ist.“ Heute stelle sich für Schüler auch die Frage, wofür sie stehen und was sie für ihre Überzeugung tun würden.

Heiter und Bach betten Bauers Lebensgeschichte in einen Dialog zweier 18-Jähriger von heute ein. Aus den Gesprächen über ihre Alltagsrealität eröffnet sich der Blick auf Bauers Leben. „Es soll etwas pädagogisch Nachhaltiges sein, nicht nur 90 Minuten gute Unterhaltung.“ Gemeinsam mit Buddy Bosch und Stefan Weidner werden die Musikstücke derzeit im Esslinger Tonzimmer-Studio produziert, damit sich interessierte Schulen einen Eindruck verschaffen können.

 

Protagonist und Macher

Fritz Bauer Als Kind einer jüdischen Kaufmannsfamilie ist Bauer, der von 1903 bis 1968 lebte, in Stuttgart aufgewachsen. Mit 26 Jahren wurde er jüngster Amtsrichter Deutschlands. Als Sozialdemokrat wurde er 1933 entlassen und für einige Zeit im Konzentrationslager Heuberg inhaftiert. Den Krieg überlebte er im Exil. 1949 kehrte er zurück, um am Aufbau einer demokratischen Justiz mitzuwirken. Als hessischer Generalstaatsanwalt zog er NS-Verbrecher zur Rechenschaft. Wegen seines Eintretens für eine juristische Ahndung der NS-Verbrechen wurde Fritz Bauer damals heftig angefeindet.
Anette Heiter Die Juristin gilt als Deutschlands einzige Richterin, die Kabarett macht, singt, moderiert und Instrumente spielt. Sie hat in Jazz- und Tanzbands gespielt, trat mehr als 30 Jahre lang mit dem Trio „Honey Pie“ und dem „Stuttgarter Juristenkabarett“ auf. 2013 erschien ihr Buch „Der Name der Robe“, 2015 folgte ihr Soloprogramm „Justiz auf Rädern – Gerichte zum Mitnehmen“. Mittlerweile ist sie auch mit den „DooWop Mädla“ erfolgreich.
Patrick Bach Nach seinem Studium der Kirchenmusik ließ der heutige Komponist Patrick Bach im Anschluss ein Studium der Schulmusik folgen. Sein breit gefächertes Interesse an den vielfältigen Möglichkeiten der Stimme pflegt er als Musiklehrer an einem Gymnasium ebenso wie in der Leitung mehrerer Chöre und Gesangsensembles sowie als Dozent. adi