Auskömmliche Arbeit und bezahlbares Wohnen sind zwei Grundvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben. Um bezahlbares Wohnen zu garantieren, wurde vor 100 Jahren der Mieterbund Esslingen-Göppingen gegründet. Im Alten Rathaus in Esslingen wurde das Jubiläum gebührend begangen.
Die Situation von vor 100 Jahren ist fast mit der heutigen vergleichbar: Schon damals befanden sich Mieter in einer schwierigen Situation: Der Erste Weltkrieg brachte den Wohnungsbau fast vollständig zum Erliegen, und der Mangel an Wohnungen wurde zur existenziellen Bedrohung für die Bevölkerung. Der Vereinsvorsitzende Udo Casper machte deutlich, dass kein soziales Mietrecht bestand. „Die Vermieter schlossen sich zusammen, um ihre Interessen noch wirkungsvoller zu vertreten.“ Es sei deshalb höchste Zeit gewesen, sich gegen die Übermacht zu wehren. Der junge Mieterverein beschränkte sich aber nicht nur darauf, Verbesserungen der Wohnungssituation zu fordern. „Eine eigene Baugenossenschaft wurde gegründet und trug damit aktiv zur Überwindung der Wohnungsnot bei“, so Udo Casper. Im Lauf der Zeit sei aus der laienhaften Selbsthilfeorganisation ein professionell arbeitender regionaler Dienstleister und Interessenvertreter geworden.
Derzeit gibt es sechs Beratungsstellen in Esslingen, Göppingen, Geislingen, Nürtingen, Kirchheim und Ostfildern. Rund 7 000 Haushalte sind Mitglied im Mieterbund. Udo Casper nahm den neu eingesetzten Heimatminister beim Wort: „Heimat zu haben ist ein menschliches Grundbedürfnis. Dazu gehören angemessene und bezahlbare Wohnungen.“ Casper wünscht sich, dass die Politik den Zusammenhang erkennt und dementsprechend handelt.
Wilfried Wallbrecht, Erster Bürgermeister der Stadt Esslingen, stellt die Wohnungsnot auch in Esslingen fest. Er versprach: „Die Stadt will lindern, aber was vor zehn Jahren falsch eingeschätzt wurde, kann nicht binnen kurzer Zeit korrigiert werden.“ Rolf Gaßmann, Landesvorsitzender des Deutschen Mieterbundes, sieht die schwarzen Listen der Vereinigung Grund und Boden als Auslöser für die Gründung des Mieterbundes. Sie seien für mögliche Mieter zum Hindernis geworden. Laut Gaßmann wurden sie als Druckmittel eingesetzt: „Wer an der Wohnung oder an der Wohnsituation rumnörgelte, kam auf diese Liste.“ Daher sei die Organisation der Mieter so wichtig, auch in der heutigen Zeit. Er lobte den Esslinger Mieterbund als aktiven Verein.