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Wohnungen sind zum Wohnen da

Vorschrift Nach langer kontroverser Diskussionen hat der Esslinger Gemeinderat die Satzung für ein Zweck­entfremdungsverbot von Wohnraum verabschiedet. Jetzt tritt die Vorschrift in Kraft. Von Melanie Braun

Die Argumente sind längst ausgetauscht, die Fronten lange klar – dennoch lieferten sich Befürworter und Kritiker eines Zweckentfremdungsverbots für Wohnraum in Esslingen bis zuletzt heftige Wortgefechte im Gemeinderat. Eine knappe Mehrheit der Stadträte stimmte der entsprechenden Satzung in der jüngsten Sitzung letztlich zu und setzte damit vorerst einen Schlusspunkt unter die seit mehr als anderthalb Jahren schwelende Debatte. Schon in wenigen Tagen soll das umstrittene Verbot nun greifen.

Kein Allheilmittel

Im Dezember 2021 hatte der Esslinger Gemeinderat mit den Stimmen der Grünen, der SPD, der Linken und FÜR beschlossen, dass die Verwaltung eine Satzung für ein Zweckentfremdungsverbot für Wohnraum vorlegen muss – gegen den Willen des bürgerlichen Lagers, das ein solches Verbot höchst kritisch sieht. Als die Verwaltung anderthalb Jahre nach der Grundsatzentscheidung im Frühsommer den Entwurf einer Satzung vorlegte, ging das Tauziehen weiter. Im Sozialausschuss hielt man das Thema nach kontroverser Diskussion für nicht entscheidungsreif, kurz darauf vertagte auch der Gemeinderat den Beschluss. Nach neuerlichen Debatten im Ausschuss für Technik und Umwelt sowie im Verwaltungsausschuss galt es nun: Mit 20 Ja- und 17 Gegenstimmen brachte der Gemeinderat die Satzung auf den Weg.

 

Das Verbot ist ein Bürokratiemonster ohne Ende.
Rena Farquhar
FDP-Stadträtin in Esslingen

 

Während die Befürworter das Zweckentfremdungsverbot als ein Mittel zur Reduzierung der Wohnungsnot in Esslingen ansehen, halten die Kritiker es für reine Symbolpolitik. So erklärte Andreas Fritz, Stadtrat der Grünen: „Es ist klar, dass das Zweckentfremdungsverbot kein Allheilmittel ist.“ Aber es sei eine flankierende Maßnahme, um der Wohnungsnot zu begegnen und dafür zu sorgen, dass Wohnraum auch zum Wohnen genutzt werde. Andere Kommunen, in denen schon länger ein Zweckentfremdungsverbot gelte, bezeichneten dieses als sehr erfolgreich: „Es ist keineswegs nur eine leere Maßnahme“, so Fritz.

Ähnlich argumentierte die SPD-Rätin Regina Rapp: „Wir haben die Verantwortung, jedes Mittel zu ergreifen, um Wohnraum zu schaffen.“ In Esslingen seien nicht Ferienwohnungen das größte Problem, sondern der Leerstand. Jede leer stehende Wohnung bedeute eine vertane Chance für Menschen auf Wohnungssuche. Das Zweckentfremdungsverbot sei daher auch ein Aufruf zur Solidarität. So sah es auch Tobias Hardt, Fraktionschef der Linken: „Für uns geht es vor allem um Prävention.“ Das Verbot solle auch dazu dienen, dass Wohnraum gar nicht erst zweckentfremdet werde. Dilek Toy von FÜR Esslingen begrüßte zwar die aus ihrer Sicht überfällige Einführung des Zweckentfremdungsverbots, sie kritisierte allerdings, dass unklar sei, wie viele Wohnungen überhaupt von dem Verbot betroffen sind, und forderte Maßnahmen, um die Zahl der leer stehenden Wohnungen zu ermitteln.

Annette Silberhorn-Hemminger, Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler, erklärte: „Ja, wir haben ein massives Wohnraumproblem, aber wir werden es nicht durch ein Zweckentfremdungsverbot lösen.“ Mehr noch: Ein solches Verbot sei kontraproduktiv. Denn der Aufwand, dieses umzusetzen und zu kontrollieren, sei enorm – dafür brauche man eigentlich zusätzliches Personal, das aber nicht vorgesehen sei. Ihre Fraktion jedenfalls lehne das Verbot ab.

Ebenso die FDP-Fraktion mit Rena Farquhar an der Spitze. „Das Zweckentfremdungsverbot ist ein Bürokratiemonster ohne Ende“, so die Fraktionschefin. Ihre größte Sorge sei, dass das ohnehin schon überlastete Baurechtsamt nun mit der Überwachung dieses Verbots beschäftigt werde und keine Zeit mehr habe, seine ursprünglichen Aufgaben zu erfüllen – die letztlich dazu dienten, neuen Wohnraum zu schaffen. „Für uns ist das ein reines Ideologieprojekt“, so Farquhar.

Auch Aglaia Handler (CDU) betonte: „Wir sind dagegen, aus ideo­logischen Gründen ins Eigentum der Bürger reinzureden.“ Esslingen brauche sicher keine „städtischen Inspektoren oder Nachbarn, die mit dem Fernglas beob­achten, wie der Wohnraum genutzt wird“. Ähnlich äußerte sich der Ortsverein von Haus & Grund in einer Pressemitteilung. In dieser heißt es, das Zweckentfremdungsverbot sei „ein erheblicher Eingriff in die Eigentumsrechte“, mit dem kaum neuer Wohnraum aktiviert werden könne. Der Deutsche Mieterbund Esslingen-Göppingen hingegen begrüßt das Verbot.

Das Zweckentfremdungsverbot tritt am 1. August in Kraft und gilt vorerst bis zum 31. Juli 2028. „Das Zweckentfremdungsverbot ist ein weiterer Baustein, um dem Wohnungsmangel in Esslingen entgegenzuwirken“, sagt Gunnar Seelow, Leiter der städtischen Stabsstelle Wohnen.

 

Eckpunkte des Zweckentfremdungsverbots

Zweckentfremdung Von August an liegt in Esslingen eine Zweckentfremdung von Wohnraum vor, wenn mehr als 50 Prozent der Wohnraumfläche gewerblich oder beruflich genutzt wird oder aber, wenn der Wohnraum baulich so verändert oder genutzt wird, dass er nicht mehr für Wohnzwecke geeignet ist. Das gleiche gilt, wenn der Wohnraum mehr als zehn Wochen pro Jahr für die Fremdenbeherbergung genutzt wird, länger als sechs Monate leer steht oder der Wohnraum ersatzlos abgebrochen wird.

Ausnahmen Es gibt aber auch Fälle, in denen keine Zweckentfremdung vorliegt: Die ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Wohnraum zügig umgebaut oder modernisiert wird und deshalb vorübergehend leer steht. Auch bei Zweitwohnungen ist ein vorübergehender Leerstand nicht mit einer Zweckentfremdung gleichzusetzen. In Ausnahmefällen kann eine Zweckentfremdung genehmigt werden. Zudem muss es der Stadt gemeldet werden, wenn Wohnraum als Ferienwohnung angeboten werden soll. meb