Ist es möglich, dass der Wolf, der am 11. Juni fotografiert wurde, die Teckregion durchstreift, oder ist er längst weitergezogen? Vor einer Woche wurde bekannt, dass auf Gemarkung der Stadt Esslingen ein Wolf in eine Fotofalle getappt war. Die Bilder wurden von Fachleuten der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) in Freiburg ausgewertet. Können Gefahren von dem Tier ausgehen?
„Bei dem fotografierten Tier handelt es sich um einen jungen, ausgewachsenen Wolf im typischen Sommerfell“, sagt Felix Böcker, Wolfexperte am Wildtierinstitut der FVA. Auch den Verdacht mehrerer Facebook-Kommentatoren, dass das Tier ungesund und abgemagert sei, entkräftet Böcker: „Es gibt keine Hinweise darauf, dass das Tier krank ist.“ Dass es sich um ein jüngeres Exemplar handelt, könnte auch erklären, wieso das Tier plötzlich im Landkreis aufgetaucht ist. Felix Böcker erklärt: „Wölfe verlassen ungefähr im Alter von ein bis zwei Jahren das Rudel ihrer Eltern, um selbst nach einem Territorium und einem Partner zu suchen.“ Auf diesen Wanderungen können Wölfe mehrere hundert Kilometer zurücklegen und Regionen kreuzen, in denen Menschen leben.
Könnte sich der junge Wolf auf seiner Suche nach einem eigenen Revier hier niederlassen? „Wölfe sind sehr anpassungsfähig. Sie brauchen Rückzugsmöglichkeiten und ausreichend Nahrung. Beide Faktoren sind eigentlich fast überall in Deutschland gegeben“, sagt Böcker. Die Tiere könnten also auch in der Region sesshaft werden. „Erfahrungsgemäß sind es aber häufig Gebiete wie Truppenübungsplätze oder der Schwarzwald, die zuerst besiedelt werden.“
Wenn sich Wölfe in einer Region niederlassen, sind häufig mehrere Hinweise darauf zu finden. Das bedeutet, dass es mehrere Sichtungen gibt, Kot gefunden wird oder dass Wild und Nutztiere gerissen werden. Fakt ist: Aktuell gibt es keine weiteren Nachweise, dass sich der Wolf noch im Landkreis aufhält. Es gebe jedoch weitere Meldungen aus dem Zeitraum um den 11. Juni, die derzeit untersucht werden. „Es ist demnach eher unwahrscheinlich, dass sich im Bereich Kirchheim aktuell Wölfe aufhalten“, schließt Felix Böcker auch für die Teckregion aus. Obwohl der Experte derzeit nicht damit rechnet, dass sich der Wolf noch in der Gegend aufhält, geht er davon aus, dass Wölfe wieder die Region durchqueren und sich langfristig auch Wolfsterritorien etablieren können.
Dem stimmt der Kirchheimer Kreisjägermeister German Kälberer zu. „In den nächsten fünf Jahren wird der Wolf auch bei uns sesshaft“, glaubt er. Wenn sich der Wolf in der Region niederlässt, hat das auch Auswirkungen auf das Verhalten der heimischen Wildtiere, wie es auch aus anderen Wolfsgebieten bekannt ist. „Rot- und Schwarzwild, also Rothirsche und Wildschweine, rotten sich zu Großrudeln zusammen. Das bietet mehr Schutz. Anderes Wild, das nicht in Rudeln lebt, wie beispielsweise das Reh, wird vorsichtiger.“ Die Umstellung des Verhaltens sei absolut logisch, doch die Bejagung werde dadurch schwieriger und die Schäden für Forst- und Landwirtschaft nehmen dann zu.
Gefahr für Nutz- und Haustiere
Den Mythos, dass der Wolf die natürliche Selektion unterstütze, entkräftet der Jäger: „Der Wolf ist ein opportunistischer Beutegreifer wie jedes Raubtier. Das heißt: Er nimmt sich, was er leicht kriegen kann. Das sind immer die schwachen Tiere. Das können auch alte Wildtiere sein, aber eben auch junge Tiere und und in jedem Fall Haus- sowie Weidetiere.“ Auch vor großen Weidetieren wie Rindern und Pferden schreckten Wölfe nicht zurück, so Kälberer. Das sei aus anderen Wolfsgebieten bekannt.
Dass die Jäger nun mit der Waffe gegen den Wolf vorgehen wollen, wie bereits in den Sozialen Medien behauptet wurde, schließt er definitiv aus: „Der Wolf ist ein streng geschütztes Tier.“ Kälberer weist aber darauf hin, dass sich die Jäger der Lage bewusst sind und sehr klar die Probleme, vor allem für Nutztierhalter, sehen. Die Gefahr für den Menschen ist laut Kälberer überschaubar. Im Wald wird der Wolf so schnell keinen Erwachsenen angreifen, ist sich der Jäger sicher – aber für unbegleitete Kinder oder Hunde könne es gefährlich werden. „Wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen – aber das muss gewollt sein. Und dazu müsste der Wolf erstmal ins Jagdrecht kommen“, sagt der Kreisjägermeister.
Weidetierhaltung und Wolf gemeinsam am Albtrauf, das kann sich Karl Ederle nicht vorstellen. „Das funktioniert nicht“, ist sich der Landwirt sicher. Etwa 70 Rinder hält er in acht verschiedenen Herden in Bissingen und Weilheim. Als der Landwirt die Aufnahme des Esslinger Wolfs sah, war sein erster Gedanke: „Die Einschläge kommen immer näher“.
Maßnahmen hat er bisher allerdings keine getroffen. „Das ist gar nicht möglich“, sagt er aufgebracht. Das Problem: „Es gibt keine effektiven Schutzmöglichkeiten.“ Herdenschutzhunde seien keine Option, weil die Parzellen viel zu klein sind, außerdem würden Rinder die Schutzhunde angreifen. Zäune sind für Karl Ederle auch keine Option: „Die Zäune, die uns angeboten werden, sollen wolfsabweisend sein, doch die Wölfe sind so intelligent, dass sie lernen, auch diese Zäune zu überwinden.“
Wolfsabweisende Elektrozäune sieht er auch aus einem anderen Grund als problematisch an: „Die müssen so viel Dampf haben, dass sie Igel oder Frösche braten würden, wenn die zu nahe kommen.“ Zudem komme, dass die Schutzmaßnahmen nicht subventioniert werden. „Wir sind kein Wolfsgebiet, da bekomme ich keinen Euro.“ Schon ein einzelner Wolf könnte für den Landwirt zum Problem werden – ein ganzes Rudel könnte für Ederle „katastrophal“ werden. „Das vertreibt die Weidetiere auf Dauer in die Ställe“, prognostiziert der Landwirt.
Wenn Mensch und Wolf aufeinander treffen
Erwachsene Wölfe meiden laut dem baden-württembergischen Umweltministerium die Begegnung mit den Menschen und können Mensch und Tier bereits über große Distanzen wahrnehmen. Jungwölfe hingegen verhalten sich Menschen gegenüber teilweise neugierig und weniger vorsichtig. Außerdem kann es vorkommen, dass sie sich nachts Siedlungen nähern oder sie sogar durchstreifen.
Wer dennoch auf einen Wolf trifft, der sollte dem Tier mit Respekt begegnen und Abstand halten. Auf keinen Fall solle man auf einen Wolf zugehen oder ihn bedrängen, mahnt das Landesumweltministerium auf seiner Webseite. Wichtig ist auch: Wölfe können vor Autos oder Reitern weniger Scheu zeigen als vor Fußgängern oder Radfahrern.
Sollte sich der Wolf vor Fußgängern oder Radfahrern nicht zurückziehen, sollten diese auf sich aufmerksam machen und sich langsam entfernen. Folgt der Wolf mit einem gewissen Abstand, heißt es: Ruhe bewahren, nicht hektisch werden, sondern sich betont uninteressiert verhalten und laut sprechen. Fühlt sich die Situation zu heikel an, rät das Umweltministerium dazu, stehenzubleiben, laut zu werden, sich groß zu machen und – sollte das Tier näher kommen – mit Gegenständen zu werfen.
Wölfe können Hunde als Eindringe bewerten und angreifen. Daher rät das Umweltministerium des Landes dazu, Hunde anzuleinen oder nur im engen Einwirkungskreis zu führen, wenn Wölfe unterwegs sind. Nähert sich ein Wolf, obwohl der Hund nah beim Menschen bleibt, sollte man rückwärts gehen und den Wolf durch lautes Rufen oder Gestikulieren auf sich aufmerksam machen und – falls notwendig – mit Gegenständen bewerfen. kd