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„Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit“

Gedenktag Das Stadtarchiv zeigt auf einem Rundgang im Herzen Kirchheims, was sich vor 100 Jahren ereignete: Die Monarchie wird abgeschafft. Die Demokratie beginnt. Von Andrea Barner

In den vergangenen drei Monaten hatte Dr. Frank Bauer wenig Zeit für anderes. Der Kirchheimer Stadtarchivar arbeitete fast ausschließlich an den zehn Stationen des „Pfads der Demokratie“. Dafür sichtete er Ordner und vergrub sich ins Archiv des Teckboten. Er sprach mit historisch bewanderten Kirchheimern, suchte nach Fotos. Freitags bildet er zehn Schüler zu „Jugendguides“ aus. „Das Projekt ist aufwendig, aber es ist auch eine Herzensangelegenheit“, bekennt der 32-Jährige.

Etwa eine dreiviertel Stunde dauert der Rundgang innerhalb des Alleenrings mit einem Abstecher zum Postplatz. An zehn Stationen stehen mannshohe Schilder mit Plakaten über die gesellschaftlichen Veränderungen, die das Ende der kaiserlichen und königlichen Monarchien in Deutschland im November 1918, am Ende des Ersten Weltkriegs, bewirkt haben. Abgeschreckt durch die blutige russische Revolution samt Ermordung der Zarenfamilie wollte die junge Republik Deutschland Ruhe und Ordnung bewahren. Ein wesentlicher Faktor: die Pressefreiheit. Nach Jahren der zentralen Zensur während des Krieges durfte der „Teckbote“ wieder frei und unabhängig berichten. Die Demokratie hatte viele Errungenschaften. Alle Kinder gingen von nun an in staatliche Grundschulen, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft. Ein Arbeiter- und Soldatenrat hatte im Kirchheimer Rathaus einige Monate lang das Sagen.

Eine „Highlight-Empfehlung“ gibt der Stadtarchivar zu dem Rundgang nicht ab. Die erste Station am Rossmarkt stehe aber im Mittelpunkt, meint er. „Da geht’s um den Auftakt der Revolution, die Massendemonstration.“ Am 10. November 1918 füllte sich der Platz mit Menschen, die am Tag nach dem Sturz des Kaisers in Berlin wissen wollten, was geschehen war und vor allem wie es nun weitergehen sollte. Bauer: „Hier muss man anfangen, wenn man verstehen will, was danach geschah.“

Zehn Stationen, zehn griffige Leitsätze wie „Wir ackern für Kirchheim unter Teck!“ oder „Das Labor der Demokratie“. Zeitenwende, dargestellt in prägnanten Texten und Vorher-Nachher-Fotos zwischen Rossmarkt, Bastion, Postplatz und Rathaus. Wer mehr wissen will, kann auf den Plakaten einen QR-Code scannen.

Am Rathaus endet der Rundgang. Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker hat das Projekt des Stadtarchivars von Anfang an unterstützt. „Die Männer und Frauen waren damals am Ende des Krieges getrieben vom Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit“, sagte sie bei der Eröffnung am Samstag. „Damals wurde das Fundament unseres Staates gelegt“, erinnert sie an Errungenschaften wie allgemeines und freies Wahlrecht, Arbeitslosenversicherung, genossenschaftlichen Wohnungsbau und Aufbau einer zentralen Finanzverwaltung oder großartige Leistungen in Kunst und Architektur. „Viel zu lange waren diese Dinge vom Scheitern der Weimarer Republik mit Hitlers Machtergreifung am 30. Januar 1933 überschattet“. Unmittelbar nach Eröffnung des „Pfads der Demokratie“ machte sich die Rathauschefin auf den Weg nach Rambouillet. In der französischen Partnerstadt legte sie einen Kranz nieder „im Gedenken an dieses Abmetzeln im Ersten Weltkrieg“, der fast zeitgleich mit dem Kaiserreich vor 100 Jahren zu Ende ging.

Der „Pfad der Demokratie“ ist bis 19. Januar 2019 zu begehen. Führungen können mit dem Stadtarchiv vereinbart werden. Jeden Sonntag um 14 Uhr ist außerdem Treffpunkt am Rossmarkt mit einem Jugendguide, der Interessierte auch ohne Anmeldung mit auf die Tour durch die Stadt nimmt.